Handwerk und Journalismus

Das Thema Wanderschaft liegt in der Luft. Vielleicht ist es selektive Wahrnehmung – aber ich sehe zur Zeit überall Berichte über die Tippelei. Hier deshalb meine persönlichen Filmtipps zur Walz. Und einige Überlegungen zur Handwerkerehre

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Auf der Sommerbaustelle 2015

Weiberwalz*  – das ist der Titel einer Dokumentation, die jetzt im MDR Fernsehen während der Themenwoche Heimat zu sehen war. Die Wandergesellinnen Theresa und Florin und Cyrilla erzählen darin von ihrem Leben auf Tippelei. Die Story: Eine Buchbinderin und zwei Steinmetzinnen klettern rauf und wieder runter von den Ortsschildern ihrer Heimatstädte. Dazwischen liegen mehr als drei Jahre Wanderschaft, die sich nur schwer in Worte oder Bilder fassen lassen. Wir sehen die Reisenden ihre Charlies rollen, also ihr Gepäck mit Tüchern verschnüren. Wir sehen die Frauen trampen und – wie immer in diesem Moment – müssen sie die Reporterfrage beantworten, ob das nicht gefährlich sei. Wir sehen die Wandergesellen im Spinnermarsch, also in Zickzacklinien, aufs Ortsschild zuwandern. Und wir bleiben als Zuschauer auf Distanz, wenn es um die geheimen Rituale auf der Walz geht.

Die Dokumentation ist schön; zeigt aber naturgemäß nur einen Teil der Wirklichkeit. Ich kenne die drei Frauen von der Straße. Der Film endet mit Aufnahmen von der Sommerbaustelle 2015. Dort war ich auch, saß am Lagerfeuer, staunte wieder. In Seewalde gab es dieses Jahr ein wunderschönes Treffen, bei der unter anderem ein Kinderspielplatz gebaut und ein Eiskeller restauriert wurden. Auf dem Gelände war es damals nicht unumstritten, dass ein Fernsehteam vorbeikam, um Florin zu filmen. Ich war nicht als Reporterin da, ich war einfach nur so da. Umso spannender finde ich zu sehen, was daraus geworden ist:

Unter Wandergesellen ist  Pressescheu verbreitet. Manchmal kann ich das verstehen. So vieles ist schon falsch geschrieben worden (Einmal hieß es in einer Lokalzeitung „Randalierende Rabbiner am Ortsschild gesichtet“ als ein Wandergeselle heimging… tss) Ich will ich hier für mehr gegenseitiges Verständnis werben. Die Walz bleibt nur lebendig, wenn junge Handwerker von ihr erfahren, wenn sie durch Filme und Berichte inspiriert werden. Gleichzeitig gilt aber besondere Sorgfaltspflicht für die Chronisten dieser Jahrhunderte alten Tradition. Wer über Wandergesellen berichten will, darf es nicht eilig haben.

Wir Journalisten können etwas von Wandergesellen lernen: Es ist die Handwerkerehre. Unter Reisenden heißt es: „Verlasse einen Ort nie so, dass nicht noch ein weiterer Reisender nach dir kommen kann.“ Verhalte dich ehrenhaft, hinterlasse keine verbrannte Erde. So ein Kodex würde meiner Branche auch gut stehen. Zu oft häufig habe ich in meinem kurzen Reporterdasein schon gehört „Mit Journalisten spreche ich nicht mehr, da habe ich schlechte Erfahrungen gemacht!“ Das hat mich jedes Mal bestürzt. Wie ist es zu dieser Vertrauenskrise gekommen? Medien müssen kritisch und manchmal auch schmerzhaft berichten, aber Journalisten sollten sich auch die Liebe zum Material bewahren (Genauer: Die Menschen vor der Kamera nicht als Material betrachten, sondern eben als Menschen). Für Verlage, Produktionsfirmen, und Redaktionen heißt das: Gebt euren Reportern Zeit. Manchmal muss man sich mehr auf seinen Protagonisten einlassen können, geduldiger zuhören und akzeptieren, wenn jemand keine Öffentlichkeit wünscht. Und manchmal ist es besser nicht zu berichten. 

Ein Beispiel: Neulich lief eine Wiederholung des Tatorts „Tod auf der Walz“ im Fernsehen. Ich gucke ja keine Krimis, aber was bei diesem Film besonders amüsant ist: Zur Recherche haben die Drehbuchautoren offenbar das Buch „Mit Gunst und Verlaub“ herangezogen, den Klassiker schlechthin in der Walzliteratur. Bloß haben die Fernsehleute genau an der falschen Stelle eine kleine Spinnerei für bare Münze genommen und somit Quatsch verbreitet. Im aktualisierten Vorwort erzählen die Autoren des sehr lesenswerten und historisch fundierten Buches, Anne Bohnenkamp und Frank Möbus, von dieser lustigen Anekdote:

„In eigener Sache möchten wir anmerken, dass ein kleiner Scherz, den wir uns damals (bei der Herausgabe der Buches, Anm.) erlaubten, unabsehbare Folgen hatte: In unserem Glossar haben wir frech behauptet, dass ein traditioneller, geheimsprachlicher Abschiedsgruß der Gesellinnen und Gesellen „ken, kuberosam Bohnpfann amen“ lauten würde. Dies verdankt sich schlicht der Umgruppierung  der Buchstaben unserer beider Namen: „Anne Bohnenmap, Frank Moebus“ Damit haben wir uns  1989 von den Gesellinnen und Gesellen verabschiedet, die uns geholfen hatten.

Im Tatort-Krimi „Tod auf der Walz“ (Erstausstrahlung 6. November 2005) nun verabschiedete sich Komissar Ivo Batic mit eben diesen Worten von der Walzgesellin Franzi Brandl, in die er sich ein wenig verliebt hatte. Wir entschuldigen uns in aller Form für diesen bodenlosen Unfug, der da aus unserem Buch ins Drehbuch geraten ist. Pardon – aber wir haben SEHR laut gelacht“

Wir sind hier also bei einer bunten Mischung aus Unwahrheit, Jux und Legendenbildung angelangt. Wenn man Journalisten und Wandergesellen aufeinander loslässt, entsteht immer wieder Faszinierendes. Und so grübele ich darüber nach, wie viel man heutzutage eigentlich berichten darf von der Walz. Meine Devise lautet: Ich teile gerne meine Begeisterung für die Walz – solange ich damit niemandem schade.

Ein Reporter hat das mal sehr schön geschafft: Schon ein paar Monate alt, aber unbedingt empfehlenswert ist diese Doku über Zimmermann Marvin. Der SWR-Mann Thorsten Hinck ist einer von der geduldigen und hartnäckigen Sorte. Er kommt ganz nah ran, und hält sich im rechten Moment zurück. Er ist dem Gesellen über ein Jahr lang immer wieder hinterher gestiefelt und hat tolle Bilder von der Reise mitgebracht.

Und hier noch was für Insider: Wer über Walzfilme spricht, kommt an einem nicht vorbei: „Für den unbekannten Hund“ der famosen Redingbrüder aus Berlin ist ein Abenteuertrip durch die Welt der Wandergesellen, mit einer schrägen Handlung obendrein. Die Redingbrüder haben mir mal erzählt, dass sie für den Film eigens Klüfte schneidern ließen und auch echte Wandergesellen am Film beteiligten. Die beiden Jungs kennen sich aus in der Welt der Walz wie wenige andere Kuhköppe. Und drücken so mit ihrem Film etwas aus, das sich nicht inszenieren lässt: Authentizität.

Disclaimer: Verrückt. Während ich diesen Blogbeitrag schreibe, erreicht mich wieder eine Nachricht eines Kollegen. Ob ich ihm den Kontakt vermitteln könnte zu einer Wandergesellin, mit der ich unterwegs war: „Sehr geehrte Frau Schober, für eine Reportage im öffentlich-rechtlichen Fernsehen befinde ich mich gerade auf der Suche nach Wandergesellinnen, die bereit wären, sich einige Zeit mit der Kamera begleiten zu lassen …“ Blabla. Ich kann nur sagen: Sorry, nein. Aber viel Glück und viel Spaß! Wenn du dich wirklich auf diese Suche begibst, findest du vielleicht Ungeahntes. Ich für meinen Teil, werde keine Wandergesellen an Journalisten vermitteln. Das ist nicht meine Aufgabe, das sind ja meine Freunde. Und schließlich sind die Biester ja ohne Handy unterwegs…

* Der Vollständigkeit halber: Weiberwalz ist auch der Titel eines Projekts von zwei Glasbläserinnen. Sie reisten im Stil der Wanderschaft um die Welt, aber nicht in Kluft. So kann man’s ja auch machen …