Artikel vergriffen: Zukunft des Lokaljournalismus

Warum es mir schwer fällt, Antworten auf Fragen nach der Zukunft des Lokaljournalismus zu geben. Warum ich gar nicht müde werde von der Walz. Und wie ich nach einem wilden Ritt durch die Republik im Osten landete. Herrjemineee.

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Hier sieht man mich und das Sandmännchen in Erfurt. Selbstdarstellung? Warum ich solche Bilder manchmal zeige, steht da*

Kürzlich war ich zu Gast an der Kölner Journalistenschule. Der Leiter (der übrigens vor Jahren auch mal eine Art Journalistenwalz machen wollte, sich dann aber nicht traute) hatte mich eingeladen, um von der Wortwalz zu erzählen. Die Studierenden dort müssen nämlich als erstes ihrer Pflichtpraktika eine Lokalredaktion besuchen. Offenbar waren von dieser Idee nicht alle der Nachwuchsjournalisten begeistert. Man munkelte den Namen der Märkischen Allgemeinen in Königs Wusterhausen und kicherte. Und so fragte man mich: Ob es in den Lokalredaktionen überhaupt junge Leute gebe?  Ob ich jetzt dauerhaft auf dem Land als Lokalreporterin arbeiten wolle? Und einer fragte: „Ist das nicht einfach bloß Selbstdarstellung, was du machst?“

Die Diskussion habe ich genossen, eine Antwort noch nicht gefunden Manche sagen ja sogar: Journalismus ist nicht genug. Immer voll drauf. Ich sehe mich als Lernende. Will was über den Lokaljournalismus herausfinden und vor allem durch diese Republik reisen. Natürlich freue ich mich, wenn mein Blog gelesen und von tollen Journalisten empfohlen wird. Und ich schreibe ja auch auf, was ich unterwegs herausgefunden habe, wie hier in fünf Lektionen. Aber ich hab das Gefühl, ich kann den Wunsch nach Zauberrezepten nicht bedienen. So langsam rückt der professionelle Fokus immer mehr in den Hintergrund und es geht mir viel mehr ums Unterwegssein. Ich stelle mir ganz grundlegende Fragen, wie zum Beispiel, ob ich einen festen Wohnsitz brauche. Trotzdem: Alle wollen Antworten von mir, dabei will ich doch selber Fragen stellen. Neulich kommentierte dann jemand im Blog zu der Frage, wie die Wortwalz weitergehen soll: „Man könnte mit den eigenen Erfahrungen anderen helfen, ähnliches zu erleben, selbst eine Gesellenreise zu machen. So könnte man durch die Erfahrungen der anderen weitermachen.“ Das fand ich interessant, wollte mehr wissen. Er schrieb später in einer Mail weiter:
„Ich habe überlegt, das Thema mal bei unserem Studiengangsleiter anzusprechen. Vielleicht gibt es ja einen Weg, die Walz irgendwie in den Studiengang zu integrieren, z.B. als optionales, gefördertes Praktikum etc., oder als Möglichkeit, die Pflichtpraktika teilweise zu absolvieren. Denn Lokaljournalismus spielt bei uns leider kaum eine Rolle, auch wenn viele Dozenten lokaljournalistisch arbeiten und das Lokale bei uns immer wieder als gutes Arbeitsfeld mit Zukunft beschrieben wurde, insbesondere der Hyperlokal-Journalismus.“
Ich denke mir: Klaro, alle raus! Wortwalzen ist ja nicht geschützt. Wer immer Lust hat, möge sich bitte, bitte an die Autobahn stellen. Vielleicht gibt’s ein bisschen Groll von Wandergesellen, wenn das Wörtchen Walz drin auftaucht – aber daran gewöhnt man sich. Was spricht dagegen sich nach dem Ende des Ausbildung auf die Suche nach neuen Meistern zu begeben. Zu mir haben unterwegs schon Apothekerinnen, Pressesprecher und Kaffehausbesitzerinnen gesagt: „Ach, auf so eine Reise würde ich auch gern gehen.“ Das finde ich super. Denn dann fangen die Leute an, sich aus ihren gewohnten Bahnen zu bewegen. In solchen Momenten genieße ich die Reise unheimlich, aber manchmal staune ich auch darüber, was mir zwischendurch passiert. Für wen ich den Journalismus alles retten soll! Ein Blogleser schreibt mir zum Beispiel Folgendes:
„Wenn Sie wissen wollen, was Journalisten denken, fühlen, machen, die nicht wissen, ob sie in einigen wenigen Monaten noch als Redakteure bei ihrer Lokalzeitung arbeiten können, ob sie dann noch ihre Familien ernähren können oder ob sie aufgrund ihres Alters wieder einen festen Job bekommen, dann schauen sie doch einfach mal beim Darmstädter Echo vorbei. In den nächsten Monaten erhalten dort 160 von ca 300 Mitarbeitern ihre Kündigung. Noch weiß keiner, wen es trifft. Sicher sind dabei zuerst auch einige junge Redakteure, die noch keine Familie haben. Auch die werden es dann auf dem heiklen Zeitungs-Arbeitsmarkt schwer haben wieder Arbeit zu finden. Falls Sie also ihr Projekt noch nicht beendet haben, fahren Sie mal nach Darmstadt. Es lohnt sich.“
Puh, habe ich mir gedacht. Auch das ist Lokaljournalismus im Jahr 2014. Ein großes sinkendes Schiff. Bald alle Frau und Mann von Bord? Vielleicht. Aber ich bin ja Berufsoptimistin. Manchmal bin ich froh, die goldenen Zeiten im Journalismus verpasst zu haben, denn dann muss ich sie heute nicht vermissen. Seit ich schreibe, ist diese Branche in der Krise. Okay, müssen wir halt weitermachen. Enttäuschte und gefrustete Kollegen habe ich bisher in jeder Redaktion getroffen, ja. Aber auch viele motivierte und solche, die ihre Leidenschaft nie aufgeben würden. Von denen will ich hier erzählen. Deshalb bin ich froh, dass ich beim Trampen nicht in Darmstadt gelandet bin.
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Hier zur optischen Auflockerung schon wieder ein Bild von mir. Ich freue mich ja immer, wenn ich eine Telefonzelle finde. Dann kann ich mal meine Mutti anrufen. Wenn dann auch noch tausend Geschichten drin stecken – umso besser!


Stattdessen habe ich die Republik durchquert. Bin mit zehn verschiedenen Lifts von Köln nach Erfurt getrampt. Jeder von denen hätte hier seine eigenen Geschichte verdient: Der gelernte Koch, der jetzt Kurierdienste fährt und auf der Raststätte seinen Granatapfel-Ingwersalat auf der Stoßstange hockend mampft. Der resignierte Richter am Sozialgericht, der sagt, Deutschland sei das einzige Land, das ein Gesetz (Hartz IV) nach einem verurteilten Verbrecher benannt habe. Oder der Erfurter Drill-Instructor, der nach seiner Bundeswehrzeit nun privat Fitness-Freaks über Zäune und Gummireifen jagt, weil diese Menschen sich angeblich danach sehnen sich zu beweisen. Sich zu beweisen, dass sie am Leben sind. Alles irre Begegnungen.

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Schöner Wohnen auf der Wortwalz, heute in Weimar. Gut habe ich’s – Besser als der arme Poet (Bild anklicken)

Damit ich diese Begegnungen nun  ein wenig in meinem Kopf sortieren kann, freue ich mich, dass ich nun in Weimar gelandet bin. Ich bin Königin eines leeren Reiches. Ein stadtbekannter Sehrgutmensch Hotelier hat mir eine leerstehende 5-Zimmer-Luxuswohnung überlassen.  Es gibt verrückterweise ein Video davon. Spannend, dass ich ausgerechnet hier der Frage nachspüren darf, wie man in Weimar wohnen will. Aber auch da muss ich erstmal wieder alle enttäuschen: Ich habe noch keine Antworten gefunden.

PS: Der Westerwälder Meisterschnack, der kommt schon noch… So viel sei schon mal verraten: Es ist das erste Mal, dass ein Regionalchef sagt in zehn Jahren wird es unsere Zeitung nicht mehr gedruckt geben.

* Klar ist das Selbstdarstellung! Facebook und Google Analytics sagen mir ja aber auch regelmäßig, dass meine Blogbeiträge drei Mal so oft gelesen werden, wenn ich mein Gesicht dafür in die Kamera halte. Darauf habe ich gar nicht immer Lust. Aber das gehört wohl zum Beruf dazu. Komisch, wieder was gelernt.