Dieser Text ist wahrscheinlich einer der schwersten, den ich auf dieser Reise zu schreiben habe. Ich war auf der Sommerbaustelle der freireisenden Wandergesellen und es war so wunderbar, dass man am besten gar nicht erst versucht es in Worte zu fassen. Es gibt etwas, das im Sprachlosen bleiben muss. Gleichzeitig ist es auch deshalb schwer diesen Text zu schreiben, weil ich ihn vor Veröffentlichung den Wandergesellen vorlegen werde. So haben wir uns geeinigt. Ich durfte die Sommerbaustelle besuchen, als Mensch, nicht als Journalistin. Und so habe ich versprochen nicht über Gesellen zu schreiben. Deshalb erzähle ich hier nur, wie ich persönlich die vergangen Tage erlebt habe.
Als ich ankam, schlug mir mein Hasenherz bis zum Hals. Mit meinem Rucksack stolperte ich auf den Bauspielplatz in Lübeck-Kücknitz. Ich wusste, dass meine Idee der Wortwalz hier Debatten ausgelöst hatte und sah mich nun einem Haufen Menschen mit schwarzen Hüten und scharfen Werkzeugen in der Hand gegenüber. „Jetzt erst recht!“, dacht ich mir. Und dann das: Ich werde einfach herzlich willkommen geheißen. Bei einem Gespräch mit dem Organisationskommitee der Baustelle erkläre ich noch ein Mal, dass es meine Begeisterung für die Idee der Walz ist, die mich auf diese Reise treibt und dass ich mich nirgends als Wandergesellin ausgebe. Ich ändere noch ein, zwei Dinge an meiner Internetseite, ich verspreche den geschützten Raum dieser Baustelle zu respektieren und dann ist klar: Ich darf hier bleiben.
Im Ziegenstall schlage ich mein Lager auf und dann arbeite ich mit. Auf der diesjährigen Sommerbaustelle bauen die freireisenden Fremden (und auch andere Schachtgesellen) hier innerhalb von einem Monat so viel wie möglich nach alter Handwerkstradition auf: Einen Baukran, in dem bald zwei Menschen wie in einem Hamsterrad laufen können, um damit Gewichte zu heben. Ein historisches Holzhaus, das nach Ausgrabungsfunden rekonstruiert wird. Und Bänke und Tische für das tolle Projekt des Geschichtserlebnisraum Bauspielplatz Roter Hahn. All das machen sie ehrenamtlich, um sich bei der Bevölkerung für die Unterstützung zu bedanken. Wer mehr wissen will darüber, was hier gebaut wurde, kann hier nachlesen, was die Lokalpresse darüber berichtet hat.
Ich hingegen habe Stift und Zettel, Kamera und Aufnahmegerät stecken lassen – und dafür einfach mitgearbeitet. Ich war völlig geplättet, dass man mir einfach ein scharfes Beil in die Hand drückte und mich Holznägel schlagen ließ. Ausgerechnet mir, die sich sogar an einer glatten Wand verletzt! Ich durfte alles ausprobieren: Schmieden, Seile drehen und Holz ausstemmen. Faszinierend, dass hier alle Gewerke zusammenarbeiten. Eine Buchbinderin auf der Walz half dem Sattlermeister, eine freireisende Steinmetzin schmiedete Nieten.
Ich staunte und staunte und staunte. Morgens um 7 Uhr wurde ich von den Klängen einer Concertina geweckt, ich tanzte mit Gesellen Tango Agentino und ich hörte beatboxende Mundharmonika-Spieler. Den ganzen Tag wurde gehämmert, gesägt und auch köstlich gekocht und zünftig gefeiert. Geschichtenerzähler am Lagerfeuer, Liedersänger auf der Pferdekoppel. Ach… Ich hatte mir vorgenommen die Walz nicht zu romantisieren, aber das Leben auf dieser Baustelle war so schön, dass es schwer fällt, das nicht zu tun.
Einfach mal loslassen. Das nächste Reiseziel noch nicht zu kennen. Sich das Spinnen erlauben. Schöne Dinge gab es hier zu lernen. Manchmal lief ich über das Gelände und sammelte die „Achs!“. Das war die übliche Reaktion. Wenn einer sich vorstellte, zum Beispiel als „Sebastian, fremder freireisender Tischler“, dann sagte ich halt: „Tach, Jessica, Journalistin“. Und dann erntete ich oft ein lachendes „Ach, du bist das!“ Daran schloss sich meist ein intensives Gespräch an.
Mein Handwerk konnte ich dann doch noch einbringen: Als der Bürgermeister das Gelände besuchte, kamen auch einige Lokaljournalisten. Es war spannend, das von Außen zu beobachten. Viele Gesellen haben mit Journalisten schlechte Erfahrungen gemacht. Manche Reporter haben verbrannte Erde hinterlassen, Details verdreht. Es ist ja auch schwer genug in der rätselhaften Welt der Reisenden nicht in Fettnäpfchen zu treten. Auch aus diesem Grund lassen sich die Wandergesellen hier jeden Text zur Korrektur vorlegen. Das war dann meine Chance mich beim Umschreiben der Lokalpresse-Texte einzubringen. Also hockte ich mich hinter den Computer und tippte mit. Eine lustige Gelegenheit PR für eine Gruppe für Menschen zu machen, die an nichts so wenig interessiert ist wie an Öffentlichkeitsarbeit.
Wandergesellen leben von ihrem guten Ruf. Deswegen schützen sie ihre Traditionen so sorgsam. Das verstehe ich jetzt besser als vorher. Wer in Kluft unterwegs ist, ist immer auch Repräsentant einer Gruppe. Und ist immer auch Projektionsfläche für das Fernweh derjenigen, die Zuhause bleiben. Privatheit ist selten unterwegs. Es muss erholsam sein, mal nur unter anderen verrückten Hutträgern zu sein. Umso mehr freue ich mich, dass die Wandergesellen mich in ihr Wohnzimmer gelassen haben.
Viel habe ich hier gelernt, über das Reisen und über die Menschen. Ich habe verstanden, dass es manchmal besser ist, nicht zu berichten. Dass es ein großer Spaß sein kann, sich in eine Situation zu werfen, von der man nicht weiß, wie sie ausgeht. Und ich habe Dankbarkeit gelernt. Für diesen klitzekleinen wahnsinnig tollen Einblick in ein Leben, vor dem ich den Hut ziehe.
Wie es jetzt weitergeht? Keine Ahnung. Einer hier sagte zu mir: Pläne sind gut, Termine sind schlecht. Ich werde mir also bald wieder eine Lokalredaktion suchen, aus der ich über das Leben vor Ort berichten kann. Oder lieber noch ein bisschen durch die Gegend tippeln. Bis dahin gilt: Bis gleich!