Station #2 Pegnitz und Bayreuth

Beim Nordbayrischen Kurier in Pegnitz werden Konkurrenten zu Kollegen. In der Zeitungszentrale in Bayreuth kann ich bei Festspiel-Flair in einer Redaktion mitarbeiten, in der es viel zu lernen gibt. Unter anderem: Wie kocht man Insekten und was hat es mit der erfundenen Leiche auf sich?

Ein Klingelschild, zwei Namen: Nordbayrischer Kurier und Nordbayrische Nachrichten. Die Titel der ehemaligen Konkurrenten auf dem lokalen Zeitungsmarkt in Pegnitz stehen hier friedlich nebenbeinander. Als ich abends, verschwitzt von meiner 100-Kilometer-Radtour durch die Fränkische Schweiz, die Treppe hochkomme, staune ich: Zwei Redaktionen, ein Raum. Zuerst weiß ich gar nicht genau, wo ich gelandet bin. Hier sitzen die Journalisten von zwei Zeitungen und tauschen miteinander die Texte. Konkurrenten wurden zu Kollegen. Natürlich nicht ganz freiwillig. Hätten sich die Redaktionen nicht zusammengeschlossen, wären sie wohl beide dem Sparzwang zum Opfer gefallen, erzählt man mir.

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Zwei Zeitungen, eine geteilte Lokalredaktion

Die Kooperation klappt nun seit zwei Jahren, weil sich die Nordbayrischen Nachrichten mehr an die Nürnberger Berufspendler wendeten, der Kurier aber vor allem für Bayreuth zuständig sei. Und die Pegnitzer Kooperation klappt auch deshalb, weil die Redakteure hier menschlich eng zusammen arbeiten. Diese Situation finde ich so spannend, dass ich beschließe auf der Wortwalz einen Zwischenstopp einzulegen. Einen Tag lang arbeite ich mit, bevor ich weiter nach Bayreuth reise.

Kurioserweise soll ich dann am nächsten Tag für beide Lokalausgaben den Aufmacher über mein Wortwalz-Projekt schreiben. Die Texte sind die identisch, nur werden sie von unterschiedlichen Redakteuren redigiert. Von einem Ende des Raums ruft ein Kollege herüber: „Der Text mit den Störchen war doch bei euch auch schon drin, oder?“ Diese Art des Austausches hat man sich hier so angewöhnt. Auch bei heiklen Nachrichten und Sensationsmeldungen. Am Anfang war das schwieriger. Lachend erzählt mir eine Journalistin: Einmal hat Redaktion A sich eine erfundene Leiche ausgedacht, über die sie den ganzen Tag getuschelt und am Telefon geredet hat. Erst als der Kollege am Nachbartisch von Redaktion B vor Neugier beinahe platzte und fragte: „Was habt ihr denn da für eine Leiche!?“, fingen alle an zu prusten.

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Texte werden getauscht, Leichen denkt man sich aus: Links die Nordbayrischen Nachrichten, rechts der Nordbayrische Kurier.

Ungläubig den Kopf geschüttelt habe ich auch, als ich Folgendes erfuhr: Bis zum Jahr 2000 wurden in Pegnitz noch Texte auf Schreibmaschine getippt, in die Redaktion gefaxt und dann von der so genannten Texterfassung ins System eingegeben. Da ist der Nordbayrische Kurier in Bayreuth inzwischen viel besser aufgestellt. Hier hat mich mich schon erwartet und twittert munter über meine Ankunft. Digitales und Analoges Leben verschränken sich hier auf besondere Art. So entwickle ich mit dem Gerichtsreporter des Blattes am Abend noch Fotoabzüge in seiner privaten Dunkelkammer. Seine tollen Analog-Aufnahmen landen aber nicht in der Schublade, sondern  kommen zum Beispiel in der Audio-Slide-Show „Handwerkszeugauf der Internetseite des Kuriers wunderbar rüber. Der Nordbayrischer Kurier ist in dieser Hinsicht sehr experimentierfreudig, macht auch tolle Webreportagen, zum Beispiel über den Fall Mollath.

Die Modernisierung geht auch auf den Einsatz des Chefredaktuers Joachim Braun zurück,  der 2013 zum Regional-Chefredakteur des Jahres gewählt wurde. Er hat sich mit seiner Arbeit nicht überall beliebt gemacht, aber dafür heute eine erfolgreiche Lokalzeitung. Man sieht dem Blatt an, dass es hier noch eine Stelle fürs Korrektorat gibt und dass ein Art Director sich um das Layout kümmert. Im Hauptteil des Blattes gibt es auch eine interessante Rrubrik namens „Meistgeklickt“, in der die Artikel aufgelistet werden, die am Vortag online am besten liefen. Zum Beispiel Platz 2: „Pegnitz Brutaler Überfall auf auf Autofahrerin (3709)“

Journalistisch warten hier echte Leckerbissen auf mich: Ich berichte über das Insektenkochen im Dschungelparadies. Dort hat die Betreiberin erst kürzlich ihre Schmetterlinge aussterben lassen, weil sie die Mietkosten für ihr marodes Tropenhaus nicht mehr zahlen konnte. Als letzte Aktion vor der Insolvenz entschied sie sich ausgerechnet dafür einen Insektenkoch einzuladen, der seine mitgebrachten Heuschrecken und Schwarzkäferlarven vor Zuschauern frittierte. Ich hielt es bei der Reportage wie die grünen Leguane, die noch im Tropenhaus verblieben waren: Als Vegetarier ließen wir uns dieses letzte Mahl gern entgehen.

Außerdem durfte ich meine Finger über ein Stück Lokalpatina wandern lassen. In Donndorf besuchte ich die Kultwirtin Edith, die bald ihre Kneipe dicht machen wird. Die Recherche lief feuchtfröhlich. Es war ein Abend auf dem Land, wie man ihn sich vorstellt. Das hier ist dabei herausgekommen. Zum Abschluss interviewte mich Kollege Moritz Kircher über meine weiteren Reisepläne.

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Journalismus zum Mitnehmen: Wortwalz

Ingesamt bin ich begeistert aus Bayreuth wieder abgereist. Sogar die Weiterfahrt gelang mühelos. Keine 10 Minuten stand ich mit meinem Trampschild an der Zubringerstraße im Gewerbegebiet, da hielt schon ein Auto an. Herrmann, ein junger Umweltforscher, Barfußfahrer, mit drei Plüschteddys auf der Rückbank, der mich auch noch direkt nach Hamburg bis vor die Haustür meiner nächsten Zwischenstation brachte. Wunderbar! Ich bin wahnsinnig dankbar, dass die Menschen, die ich unterwegs treffe, so großzügig sind.

Wie es mir dann auf der Sommerbaustelle der Wandergesellen bei Lübeck erging, erzähle ich beim nächsten Mal. So viel steht fest: Ich habe überlebt.