Meisterschnack #4 Peter Noßek

Peter an dem Beachclub, für den er nebenei noch eine Petition organsiert

Peter an dem Beachclub, für den er nebenei noch eine Petition organsiert

Zehn Fragen, zehn Anworten. Und keine Ausnahmen für Verrückte. Naja, fast: Im Meisterschnack erzählt Peter Noßek, Herausgeber des Harburger Blattes, warum er mal vier leere Seiten in der Zeitung druckte und wie die Leser ihn dafür abstraften. Außerdem verrät er, warum man so sehr für Lokaljournalismus brennen muss, dass man sich dafür auch das Wasser abstellen lassen muss.

 1. Warum bist du Lokaljournalist geworden?
Eigentlich wollte ich ein weltberühmter Modefotograf werden. Das war früher, als ich noch nicht wusste, wie das Business läuft. 1992 ging ich als alleinerziehender Vater und  Fotograf zur Lokalzeitung. Ich dachte: „Da hast du die Möglichkeit zu lernen. Bei der Lokalzeitung kannst du zeigen, was du kannst.“ Ich war dann drei Monate bei einem Harburger Wochenblatt. Dann habe ich bei den Harburger Anzeigen und Nachrichten, mit denen ich aufgewachsen bin, angerufen und mich erkundigt, ob sie freie Mitarbeiter suchen. Großes Glück: in der Sportredaktion suchten sie gerade einen Fotografen, aber ich müsse dort auch schreiben. 18 Jahre lang war ich dann Mitarbeiter bei den HAN. Ich war da schon mit Herzblut dabei. Für die HAN zuarbeiten, das war schon eine Lebensaufgabe.

2. Wenn Aliens auf der Erde landen würden, wie würdest du ihnen deine Arbeit beschreiben?
Ich bringe Spaßkonserven unter die Leute. Ich mache das, was ich gelernt habe und was mir Spaß macht: Fotografieren und Schreiben. Wenn du das, was du tust, mit Spaß machst, dann wird das im Produkt deiner Arbeit konserviert. Und das kannst du dann unter die Leute bringen. Ich unterhalte und informiere Menschen, ich liefere ihnen Anregungen und möchte sie zum Nachdenken anregen. Ich glaube, Journalismus hat damit zu tun, die Welt ein Stück weit besser zu machen, und das im Kleinen. Man muss ja irgendwo anfangen in die dieser globalen Welt und wie sagt man so schön: Die Samen von heute sind die Blumen von morgen.

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Zweitungaustragen mit dem Herausgeber, da sgibt es nur in Harburg


3. Was macht deine Lokalredaktion besonders?
Dass wir frei sind. Die Leute, die mitarbeiten, unterliegen keinerlei Beschränkungen durch irgendeinen Verlagschef, der meint die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Jeder kann das machen, was er für richtig hält. Wir brauchen vor nichts Angst haben. Hier kann sich jeder ausprobieren, wir haben erfahrene Leute, die den jungen beistehen können. Aber es gibt keine Schiene, auf der man sich von vorneherein bewegen muss. Man kann einfach losgehen und sein Ding machen. Wir arbeiten alle unentgeltlich, aber wir wollen das natürlich an den Punkt bringen, wo das unseren Kühlschrank füllt. Am schönsten wäre es, wenn wir alle unsere volle Aufmerksamkeit und Zeit diesem Projekt zukommen lassen könnten.

4. Wie sieht das Harbuger Blatt in 10 Jahren aus?
Das weiß ich nicht… also wenn ich spinnen soll: Das Harburger Blatt gibt es natürlich noch. Ich bin inzwischen Millionär, fahre ein Porsche Turbo Cabriolet, habe eine Redaktion von fantastischen Leuten, die alle ihr Ding machen können. Und ich habe eigentlich nur noch beratende Funktion. Ha! Naja, wohin der Weg wirklich führt, weiß ich nicht. Das Harburger Blatt ist kein fertiges Produkt, es ist ein Projekt. Ich weiß ja selber noch nicht, was alles möglich ist. Ich denke, dass das Format Zeitung viel mehr Möglichkeiten bietet, als das, was wir bisher so kennen. Ich habe mich jetzt auf den Weg begeben zu gucken, was möglich ist. Du kannst dir 1000 Ausdrucke am A3-Drucker machen, aber ob etwas funktioniert, ein Bild, eine Illustration, das siehst du erst später am Kiosk, wenn du es in den Händen hältst.

5. Was kann ich bei euch lernen?
Puh. Du kannst hier das lernen, was du auch draußen lernen kannst: Frei sein, deinen Weg gehen, dich verwirklichen. Du kannst einfach das machen, was dir Spaß macht. Freiheit kann aber auch etwas sehr Schmerzhaftes sein. Wenn man an etwas glaubt, dann muss man bereit sein alles in die Waagschale zu werfen – und sei es die eigene Existenz. Je mehr man dir nimmt, desto weniger kannst du verlieren. Selber ein Blatt zu machen ist eine Achterbahnfahrt. Man muss lernen sich selbst zu vertrauen. Und auf die Leute, die sich dazu gesellt haben, die mir zugelaufen sind. Außerdem: Journalismus ist einerseits ein Handwerk. Es gibt Leute, die ihr Handwerk gut beherrschen, gute Fotos machen und gute Texte schreiben. Aber es gibt auch Leute, die nicht nur das Handwerk beherrschen, sondern auch die Kunst. Und das sind dann die Texte und Bilder, die einem besonders viel Spaß machen. Journalismus ist nur nicht Handwerk allein. Erst wenn das Handwerk zur Kunst wird, fängt die Phantasie an zu triumphieren.

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Selbstgeschmiedete Zeitungsschiffchen als stumme Verkäufer

6. An welche Geschichte erinnerst du dich noch heute?
Es gibt eine Geschichte, die mir gerade nicht aus dem Kopf geht und die ich bald noch machen will. Ich habe hier in Harburg neulich einen Mann an der Ampel gesehen. Ich habe noch nie einen heruntergekommeneren Menschen mit einem verzweifelteren Gesichtsausdruck gesehen. Verfilzte Haare, starr vor Dreck und nicht mal mehr einen Beutel hatte er dabei. Ich konnte leider nicht anhalten. So etwas habe ich in meinem Leben noch nie gesehen. Wie tief man fallen kann und dass da trotzdem offenbar noch etwas ist, das einen am Leben erhält. Diesem Menschen möchte ich gerne noch einmal begegnen.

7. Wie stellst du dir deine Leser vor?
Dazu erzähle ich mal eine Geschichte: Wir haben mal vier weiße Seiten gedruckt… In den ersten Ausgaben hatten wir nur acht Seiten Text und wollten dann ein dünneres Papier. Wir wollten deshalb auf zwölf Seiten hochgehen, aber hatten in den ersten Wochen gar nicht genug Stoff, um den Platz zu füllen. Zum Jahreswechsel haben wir uns gedacht: Wenn wir unseren Anspruch selber ernst nehmen, dass die Harburger uns dabei zuschauen können, wie wir eine Zeitung entsteht und sich weiterentwickelt, dann ist es folgerichtig, wenn diese Seiten leer bleiben. Wir haben dann in die linke Ecke geschrieben: Aller Anfang ist leer.

Das sollte den Beginn des Jahre verdeutlichen und zum anderen sollten die Leute sehen, wie die Zeitung für uns aussieht. Also, wenn wir so eine Erweiterung beschließen, dann haben wir auch nicht mehr als eine weiße Seite mit dem Kopf oben. Alles ist leer, wenn die Zeitung uns zum ersten Mal begegnet. Das sollte die Leser zum Mitmachen animieren. Damit sie verstehen: Okay, das ist etwas, was es zu füllen gibt und jeder kann dabei mitmachen. Und es sollte eine Standortbestimmung sein: Wir sind eine freie Zeitung, wir haben die Freiheit, das einfach zu tun. Wenn uns das einfällt, vier leere Seiten zu machen, dann hält uns niemand davon ab. Die Ausgabe danach haben die Leser dann fast komplett am Kiosk stehen lassen, da haben sie uns richtig den Mittelfinger gezeigt. Aber davon darf man sich nicht beeindrucken lassen.

8. Auf der Walz lernen Gesellen die Geheimrezepte ihrer Meister. Welches kannst du mir verraten?
Sei beschieden und denk daran, dass du Dienstleister bist. Das vergessen viele Leute. Wir sind für Menschen da. Was wir Journalisten tun, darf nicht zum Selbstzweck geraten. Selbstverwirklichungen darf nicht mit Selbstdarstellung verwechselt werden. Im Feuilleton kann man kann sich zum Beispiel auch damit über Leute erheben, in dem man zeigt, wie eloquent man mit Sprache umgehen kann. Auch Sprache muss man bescheiden benutzen.

9. Wie kommunizierst du mit deinen Lesern?
Ich bin Bestandteil der Welt, über die ich berichte. Meine Telefonnummer steht in meiner Zeitung drin, man kann mich überall in Harburg treffen und ansprechen. Und wir haben eine Facebook-Gruppe, in der über 2000 Leute drin sind. Da posten wir zum Beispiel, wenn wir dabei sind das Blatt unterwegs auszutragen. Wir beteiligen die Leser an dem, was uns zwischendurch beim Blattmachen passiert. Und das Zeitungaustragen ist auch eine ganz wichtige Form der Kommunikation.

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Ein Tattookünstler illustriert das Harburger Blatt. Finde ich so cool, dass ich besser die Puschen anlasse, damit es nicht zu hip wird


10. Was tust du, um das Aussterben unserer Zunft zu verhindern?
Ich versuche aufzuzeigen, was möglich ist. Wie unerschöpflich die Möglichkeiten sind. Zeitung ist nicht nur das, was uns die großen Verlage weiß machen wollten. Zeitung ist mindestens genauso ein cooles Medium wie das Internet. Und die Zeitung kann weiterhelfen in Situationen, in denen das Internet versagt…

Was meinst du damit?

Wenn dir die Sonne auf den Kopf brennt, kannst du dir daraus einen Hut bauen. Oder wenn du auf Toilette sitzt und du hast kein Klopapier, dann kannst du dir damit den Hintern abwischen, weißte? Aber im Ernst: Manche sagen, das Internet ist schuld, dass Zeitungen sterben, Nein, quatsch: Zeitungen sind schuld, das Zeitungen sterben. Vielen Redaktionen ist das Spielerische verloren gegangen, sie sind langweilig geworden.

Eine Antwort auf Meisterschnack #4 Peter Noßek
  1. Petra-A. Janschek sagt:

    Schönes Interview. Für mich ist Zeitung in minem Leben rotz Internet, facebook etc. unabdingbar. Das Zeitungssterben liegt für mich daran, dass alle das gleiche berichten – vor allem nur Schreckens-nachrichten – aber das Leben ist bunt und es gäbe auch viel Positives zu berichten, woran man Freude haben kann, man muss nur mit offenen Augen und Herzen durchs Leben gehen – auch und besonders als Journalist. Leider ist für die Zeitungen aber nur die schlechte Nachricht eine gute Nachricht, je reisserischer desto besser – schade. Die Zeitung von Peter Noßek hebt sich erfreulich davon ab, das macht sie lesens-(liebens)wert. Weiter so. Liebe Grüße Petra-A. Janschek