Station #5 Burgdorf: Kleinkaliberkönigin

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Home is where your Heimatzeitung is? Nee…

Heimatzeitung, das Wort ist kuschelig wie ein Flanellhemd. Was bedeutet es? Als ich jetzt meine eigene Heimatzeitung besucht habe, den Burgdorfer Anzeiger, da sprang mich gleich ein neues Lieblingswort im Blatt an: Kleinkaliberkönigin. Die Schützenfestsaison ist gerade rum in Niedersachsen, die Themenlage ist ein bisschen dünn. Aber die neue Kleinkaliberkönigin ist allemal einen Vierspalter wert. Es vergeht kein Kartoffelfest, ohne dass darüber berichtet wird. Alles hier kommt mir bekannt vor, ich weiß ja: Der Samstag heißt hier Sonnabend. Die Dörfer heißen Otze, Uetze, Schwüblingsen und Hülptingsen. Es sind die Orte, durch die ich als Schülerin jedes Wochenende gezuckelt bin, um meine Lokaltermine zu machen. Ich genieße es jetzt dieses Wortwalz-Gefühl der vergangenen Wochen mal abzuschütteln, dass man ständig versucht Lokaljournalismus zu machen ohne sich vor Ort auszukennen. Hier kenne ich mich aus, aber ich merke auch, wie die Zeit mich verändert hat.

Seit ich hier vor zehn Jahren meine ersten Artikel über Kaninchenzüchter geschrieben habe (siehe unten), hat sich die Lokalausgabe der Zeitung nicht groß verändert. Okay, es gibt jetzt manchmal ein optisch jüngeres Layout für Fotokästen, das nennen sie dann plötzlich  „Spots“. Die Überschriften lauten: „Der Zwiebel ist es zu nass auf dem Acker“ oder „Warnbaken werden Dauerprovisorium“. Die aktuellen Daten und Zahlen zur Landwirtschaft werden als Fließtext gedruckt – an eine Infografik denkt hier keiner. Als ich das anspreche, ernte ich Schulterzucken. In den ersten Tagen beim Anzeiger redigiere ich Meldungen, besuche Kinder, die in der Stadtbücherei einen Ferien-Fotografier-Kurs machen und begleite eine ehrenamtliche Zirkustrainerin. Ein schönes Beispiel, wie große Themen lokal heruntergebrochen werden können, liefert ein junger Jeside, der einen Hilfstransport in die Türkei organsiert hat und nun in der Redaktion vorbeikam.

 

Natürlich besuche ich auch das Haupthaus der HAZ in Hannover. Hier habe ich früher bei der Jugendseite ZiSH geschrieben. Das war toll, weil man dort als Jugendliche unter hingebungsvoller redaktioneller Betreuung ganze Seiten vollschreiben durfte. ZiSh hat mich sozialisiert. Hier werden in großer Runde Texte zerrupft, zerpflückt und danach nochmal umgeschrieben. „Der Ausstieg gefällt mir nicht“, „Das ist alles zu lang“ oder „Das verstehe ich nicht“, sind die Kommentare der strengen Kollegen. Die Jugendlichen hier sind kritischer als manch eingefahrener Lokalredakteur. Ich mag das. Und komme mir doch etwas Oma-mäßig vor, als ich in der Konferenz von meinen Erfahrungen erzählen soll.

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Frauen, die auf Bildschirme starren: Mit HAZ-Vize-Chefin Hannah Suppa

In der großen Konferenz des Hauptblattes freue ich mich, dass Chefredakteur Hendrik Brandt mich mit den Worten „Herzlich Willkommen Zuhause“ begrüßt. Toll, dass meine ehemalige Lokal-Kollegin Hannah Suppa, mit der ich früher die unbeliebten Dienste an den Weihnachtsfeiertagen in Burgdorf durcharbeitete, inzwischen stellvertretende Chefredakteurin ist. Sie erzählt hier bald mehr im Meisterschnack und hat hier über mich geschrieben. In Hannover wünsche ich mir explizit die Arbeit an den Produktionstischen kennen zu lernen. Mal nicht „Raus aufs Land, Geschichten jagen“, sondern gucken: Wer fummelt die ganzen Texte eigentlich zu einer Seite zusammen? In Hannover gibt es seit Kurzem einen so genannten Lokal-Desk, der alle Seiten aus den Regionalbeilagen produziert. Das heißt die Lokalredaktionen werden zu so etwas wie „Textagenturen“, die ihre Zeilen wie Auslandskorrespondenten in die Zentrale schicken. Dort werden die Seiten gebaut und redigiert. Das vereinheitlicht die Produktion natürlich. Aber es entfernt die Lokalredakteure auch vom Blattmachen. Das sind jetzt irgendwie: „Die da draußen“. Und die, die „drinnen“ sitzen, kommen kaum noch dazu die ganze Palette ihres journalistisches Handwerks anzuwenden.

Seit Madsack munter Regionalzeitungen kauft und das Redaktionsnetzwerk Deutschland gegründet hat, wird der Mantelteil für eine ganz Handvoll Blätter zentral produziert. So werde ich in der Videokonferenz Zeugin wie Redakteure aus Kiel, Leipzig, Hannover und Frankfurt/Oder knapp verhandeln, wer den Leitartikel schreibt. Sowas sind also Synergieeffekte. Dadurch, erzählt man mir, sind in Hannover jetzt mehr Redakteure für die Lokalproduktion zuständig. Dass Lokaljournalisten aber so viel in Glastürmen sitzen, hat mich irgendwie gerade hier in Hannover, bei meiner alten Heimatzeitung, besonders gefuchst. Dabei gibt es auch Schickes: Ähnlich wie der Nordbayrische Kurier macht jetzt auch die HAZ neuerdings schöne lokale Web-Reportagen, wie diese hier über das Ihme-Zentrum.

Große Freude kam auf, als sich mein ehemaliger Lokalchef Sven bei mir meldete und stolz davon erzählte, wie er zuletzt die Karnickel (Rassekaninchenzuchtverein = Zweitlieblingswort) mal wieder ins Blatt gehoben habe. Sein Text: „F652 züchtet keine Tiere mehr“ ist nicht nur optisch opulent bebildert, sondern auch so ein echter Oschi. In Niedersachsen habe ich jedenfalls gelernt: Die Schützenfeste, Dorfkneipen, verkaufsoffenen Sonntage – das sind die Orte, wo das Leben tatsächlich stattfindet. Vielleicht gibt es hier deshalb immer noch Überschriften wie diese zu einem Bluesfestival: „Kartoffelbrote für die Helfer, Schmalzbrote für die Besucher!

Karnickel

Rassekaninchenzuchtverein, das Ende schöner Dinge und Wörter