Meisterschnack #6 Lars Reckermann

P1180203Nur fürs Protokoll: Lars Reckermann weist vorab darauf hin, dass er die 10 Fragen extra noch nicht angeschaut habe. Ganz spontan erklärt er also, wie er seinen ersten Text über Christstollen schrieb und warum er die älteren Kollegen gerne fossile Wissensträger nennt. Außerdem findet er, dass Neugierde ein Schulfach sein sollte, dass man über die Provinz nicht provinziell berichten muss und er ist sich sicher: Der kleine Sören wird uns eines Tages wischen.

1. Herr Reckermann, warum Sind Sie Lokaljournalist geworden?
Ich wollte mal Rechtsanwalt werden. Ich war aber total schlecht in der Schule, habe das zweit schlechteste Abitur gebaut. Dann habe ich bei der Berufsberatung gefragt: Was kann ich denn machen? Dann fragte der: Worin sind Sie denn gut? Und ich sagte: Aufsätze schreibe ich gerne. Und dann sagte er: Versuchen Sie es doch mal mit dem Journalismus. Dann bin ich in Unna zur Lokalredaktion gegangen und habe gefragt, ob ich mitmachen darf. Dann sollte ich eine Geschichte machen über den Christstollen. Ich habe 270 Zeilen geschrieben, veröffentlicht wurden 27. Ich dachte mir, da muss ich nicht mehr hinkommen. Aber dann sagte mir mein erster Chefredateur damals: Journalismus ist ein Handwerk. Das lernt man. Wie ne Mauer hochziehen.

2. Wenn Aliens auf der Erde landen würden, wie würden Sie ihnen Ihre Arbeit beschreiben?
Das ist ja eigentlich eine Traumsituation. Wir sind Chronisten. Wir können denen in wunderbaren Worten erklären, in was für einer tollen Welt wir leben. Ich würde mich den Aliens als der Ortschronist anbieten. Als das Gedächtnis der Erde. Wenn ein Ort 60.000 Einwohner hat, dann hat er auch 60.000 Geschichten. Ich finde zum Beispiel  einen Kaninchenverein total spannend. Da halte ich es wie ein Kollege, der sagte: „Wenn es eine Urzelle der Demokratie, der Mitbestimmung gibt, dann willkommen im deutschen Vereinswesen!“ Da lerne ich, was es heißt Verantwortung zu übernehmen, sich unterzuordnen, im Team zu arbeiten. Ich gebe zu: Wir Journalisten haben es ein wenig verlernt, Freude an solchen Geschichten zu haben. Ich glaube, das kommt wieder.

3. Was macht Ihre Lokalredaktion besonders?
Ich glaube, das Besondere ist, dass unsere Kollegen hier alle total verwachsen sind. Die kennen sich aus, die sind verbandelt. Ehrlich gesagt möchte ich das auch. Jemand hat uns mal vorgeworfen: Sie haben ja Stammtischreporter! Das war für mich das größte Lob. Weil die wirklich am Ohr sind. Wir sind keine versnobte Redaktion, die Kollegen sind total menschlich, die haben mich so nett aufgenommen. Die arbeiten fleißig. Ich glaube, ich habe hier ein bisschen Chaos reingebracht… aber das meine ich gar nicht böse. Aber das macht diese Redaktion aus, dass sie ganz nah beim Leser ist und ganz viel Know-How hat. Die älteren Kollegen nenne ich gerne die fossilen Wissensträger. Und die haben immer noch den Spaß an der Arbeit. Und die gehen auch den Weg ins Digitale mit. Überlegen Sie mal, was sich da alles geändert hat. Ich habe auch noch Seiten aufgezogen über Koordinatensysteme.

Aber eine Besonderheit ist ja auch, dass Sie keine eigene Onlineredaktion haben…
Genau, dafür ist die Redaktion viel zu klein. Ich kenne auch meinen Grenzen. Aber ich will auch keine Onlineredaktion. In dem Wort Zeitung steckt nicht das Wort Papier. Was wir machen ist gute Geschichten schreiben. Und da bleibe ich auch dabei: Die guten Geschichten funktionieren im Netz genauso wie im Print. Das ist ein Irrglaube, dass man fürs Netz anders schreiben muss.

Die fossilen Wissenträger der Redaktion

4. Wie sieht die Schwäbische Post in 10 Jahren aus?
Wir sind jetzt schon brutal lokal unterwegs. 470 Lokalseiten im Monat. Die von einem relativ kleinen Team gestemmt werden. Eine eigene regionale Wirtschaftsseite, eine lokale Kulturseite, eine eigene Jugendseite. In 10 Jahren sieht die Zeitung idealerweise genauso aus wie heute. Die funktioniert, die wird gelesen. Wir verlieren nur 1,6 Prozent Leser. Meine Strategie ist: Ich will die Zeitung gar nicht verändern. Wir verändern im Kleinen, wir werden ein Stück weit moderner, aber machen Evolution statt Revolution. Wir haben gerade mal einen überregionalen Teil von acht Seiten. Wo wir auf drei Seiten das Regionale abbilden und auf den Restlichen versuchen, das Überregionale runterzubrechen. Das Lokale, das muss unser Geschäft sein.

5. Was kann ich bei Ihnen lernen?
Sie können hier lernen, dass Provinz nicht provinziell sein muss. Dass auch das Ländle Großstadtgeschichten zu bieten hat. Groß würde ich jetzt GROSS schreiben, weil hier einfach großartige Menschen sind. Sie können lernen, dass es jeden Tag ein Kampf ist eine Zeitung adäquat zu zu machen. Das ist in jeder Lokalredaktion so: Wir erfinden jeden Tag ein neues Produkt. Das ist einmalig. Man muss jeden Tag kreativ sein. Sie können hier Teamwork lernen und eine tolle Streitkultur. Wenn Sie hier aus dem Ländle etwas mitnehmen, dann die Liebe hierzu (zeigt auf die Zeitung), auch die Liebe zu Vereinen und auch sich über ein Produkt zu streiten.

6. An welche Geschichte erinnern Sie sich noch heute?
Das war in Dortmund eine Amtsgerichtsgeschichte mit einem Zuhälter. Der nannte sich selbst nicht Zuhälter, sondern sagte: Nein, ich bin Eventmanager. Und der Richter sagte dann: „Lieber Herr Megger, in Ihrem Club kann man also Liebe kaufen?“. Und Herr Megger antwortete: „Herr Richter, Liebe kann man nicht kaufen.“ Diesen Satz werde ich nie vergessen. Ich habe ganz tolle Geschichten mit diesem Zuhälter gemacht.

7. Wie stellen Sie sich Ihre Leser vor?
Wir haben mal rumgesponnen und uns vorgstellt, wir bauen uns einen typischen Leser aus Pappe. Den stellen wir dann dahin und gehen immer daran vorbei und sagen: „Hallo Frau Schober, haben wir heute etwas für sie im Blatt?“ Ich mache es ganz kurz: Ich hoffe, dass mein Leser neugierig ist. Ich hätte gerne Neugierde als Schulfach. Der Leser unserer Zeitung ist leider nicht 30, der ist situiert. Er war immer fleißig, das ist der Schwabe hier. Er ist in irgendeinen Verein integriert oder übt irgendein Ehrenamt aus. Das klappt hier wirklich noch vorbildlich.

8. Auf der Walz lernen Gesellen die Geheimrezepte ihrer Meister. Welches können Sie mir verraten?
Voreingenommen in eine Geschichte zu gehen ist die größte Bremse. Das wäre der Tod unseres Handwerks. Wenn ich schon mit dem Kopf lieblos dabei bin, dann wird das ein hingerotzter Text. Man liest das, wenn jemand keinen Bock auf den Termin hat. Auch noch ein Tipp: Sich wirklich an jeder Kleinigkeit erfreuen können. Das sind diese „Guten Morgens“, die wir in unserer kleine Kolumne beschreiben. Da geht man irgendwo vorbei und beobachtet eine Kleinigkeit. Alle gehen weiter, aber wir Journalisten nicht. Ich sage den Kollegen immer: Sie sind das Auge, die Nase, das Ohr der Region. Wir beschreiben das, so gut es eben geht. Das Geheimrezept ist: Das Kleine sehen.

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Das Kleine Sehen: Lokalkollegin Mali schreibt auf ein Aalener Kunstprojekt, was sie noch machen möchte, bevor sie stirbt. Ihre Antwort: Schwäbisch lernen. Hanoi!

9. Wie kommunizieren Sie mit den Lesern?
Wir haben eine Rubrik eingeführt, die heißt „Ihr Tipp – unser Thema“. Das läuft wirklich gut. Da gab es zum Beispiel den Klassiker: Da hat sich eine Anwohnerin beschwert, die hat gesagt: „Mensch, wir haben mal ein Lichtkonzept für unsere Straße verabschiedet auf so und so viel Lux. Alle Lampen sind jetzt schön abgedimmt, aber neulich waren die Stadtwerke da und die haben eine neue hellere Birne reingedreht. Das sieht doch doof aus.“ Wir haben dann da ein Thema draus gemacht. Ich fand das so toll. Das Bild zu der Geschichte sah auch toll aus. Das waren keine 100 Zeilen, sondern vielleicht 40. Aber das wurde geändert am nächsten Tag. Das zeigt uns: Wir sind Leseranwalt.

Wir machen auch viel über Facebook und wir haben immer eine Leserbriefspalte und eine regelmäßige Umfragen. Und das große Kommunikation-Tool war natürlich auch meine Wanderung. Zehn Tage lang durch die Region. Wir haben Hape Kerkelings Motto umgedreht und ich habe gesagt: Ich bin dann mal da. Also, um mich vorzustellen habe ich gesagt: „Hallo lieber Schwabe, ihr seid doch alle Lokalpatrioten, macht mich doch auch zum Lokalpatrioten.“ Völlig witzig dabei war, dass mich ein älterer Herr sechs Mal dabei begleitet hat. Der hat gesagt: „Herr Reckermann, ich kann nicht haben, dass Sie sich als „Reingeschmeckter“ hier später besser auskennen als ich.“ Daraus ist mittlerweile ein tolles Verhältnis geworden.

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Auf seinem Blog erzählt Lars Reckermann vom Ankommen auf der Schwäbischen Alb – und wandert mit Lesern

10. Was tun Sie, um das Aussterben unserer Zunft zu verhindern?
Wir machen Journalismus, der die Arbeitsplätze hier hält. Also, die Journalisten hier behält. Und wir machen den Leuten deutlich: Um den Journalismus zu erhalten, muss man den Journalismus pflegen. Man muss sich auf die neuen Arbeitsmittel einlassen. Wir müssen uns dem Neuen stellen. Und wir müssen gute Geschichten machen. Ich würde Ihnen aber sagen: Ich rette die Zunft nur lokal. Ob ich den überregionalen Journalismus in der Breite retten kann, das bezweifle ich. Aber auch die Konkurrenz, in diesem fall die Aalener Nachrichten, retten unsere Zunft. Wenn ein Leser mit den Aalener Nachrichten sauer ist, dann geht er zu uns. Oder andersrum. Aber er bleibt Zeitungsleser. Wenn wir ein Einzeitungskreis wären und der Leser ist sauer auf uns, dann kommt er nie wieder. Das ist auch ein Korrektiv, das finde ich wichtig. Wenn unser Mitbewerber eine gute Geschichte macht, dann ist unser Anspruch sie besser zu machen. Das ist eigentlich wunderbar.