Station #8 Freiburg, das kommt von frei

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Hallo Schwarzwald, Hallo Funkstille. Hallo Losmachen, Hallo freier Wille.

Es gibt ein schönes Wort unter Wandergesellen, das ich in letzter Zeit sehr schätzen gelernt habe: Abreiseverlumperung. Gemeint ist damit, die geplante Abfahrt nach hinten zu verschieben. Immer wieder. Die beteiligten Begleitpersonen tun das Ihrige dazu, um den Moment des Aufbruchs immer weiter zu vertrödeln. Manchmal hat man einfach einen Fuß im Beton. Oder im Schwarzwald. So ist es mir nun in Freiburg ergangen.

Zuerst muss ich gestehen: Ich bin nicht mal zur Lokalzeitung gegangen. Schmach! Dabei gibt es hier die wirklich gut gemachte Badische Zeitung, das sympathische Radio Dreyeckland und auch das Onlineportal fudder. Genug Auswahl. Aber ich wollte einfach mal: Frei sein in Freiburg.

Über zwei Monate bin ich nun auf der Straße. Es ist irre, wie viel Freude das macht. Aber ich merke immer deutlicher, es kann dabei nicht nur um eines gehen: Schaffe, schaffe, schaffe. Ausgerechnet im fleißgen Baden-Württemberg lasse ich mich mal ein paar Tage treiben, nachdem ich oft die Wochenendschichten in Lokalredaktionen übernommen habe und mein Reisequipment erste Sollbruchstellen zeigt. Auf die Walz gehen heißt ja nicht nur schenigeln, wie Gesellen das Arbeiten nennen, sondern auch mal wirklich tippeln.

Außerdem erinnere ich mich an die Worte einer ganz besonderen Wandergesellin. Vor über einem Jahr habe ich ein Interview mit Sarah geführt. Sie ist freireisende Bäckergesellin und für mich eine sehr inspirierende Person. Wir sprachen darüber, was es bedeutet ein unbequemes Leben außerhalb der eigenen Komfortzone zu führen. Ich selber war damals noch zu Gast in meinem alten Leben, habe ausgrechnet bei der Frauenzeitschrift Cosmopolitan gearbeitet und vom Schreibtisch aus die Reisegeschichten fremder Autorinnen redigiert. Kurz vor Koma. Es hat damals unglaublich in meinem Bauch geziept, als Sarah mir erzählte, wie sie reist. Sie wisse wirklich morgens nicht, wo sie abends schlafe. Ich war sofort fasziniert. Am Abend nach dem Gespräch, vor über anderthalb Jahren, beschloss ich: Ich will auch auf die Walz gehen. Ich wusste nur noch nicht wie.

Als ich dann mit den Recherchen begann, versagte mir oft der Mut. Ich wusste genau: Ohne Gesellenbrief und Handwerk steht mir die Walz nicht zu. Ich werde mir mein eigenes Ding basteln müssen. Ich fragte Sarah um Rat und sie warnte mich dringend davor, die Reise Wortwalz zu nennen, weil die dieses Wort zu viel unnötiges Konfliktpotenzial berge.  Sie sagte aber auch:

„Walz ist, was du draus machst. MACHE DIESE REISE NUR FUER DICH UND SONST NICHTS UND NIEMANDEN! Du bist niemandem Rechenschaft schuldig, warum du reist, wohin oder was es sonst bringt. Vergiss das bitte nie. Es ist dein Leben und es ist deine Reise!!! Die Erfahrungen wird dir niemand nehmen! Deshalb meine Bitte an dich GENIESSE DIE ZEIT!!! Tu das, was du tun moechtest und lass den Rest sein!“

Diese Worte habe ich nie vergessen. Dieser Freiheitsgeist unter Gesellen ist wunderbar. Wenn man sich darauf einlässt, erlebt man Erstaunliches. Und so kam es, dass ich in Freiburg zwar allerhand Abenteuer erlebte, aber es nicht ein Mal in eine Redaktion schaffte. Ich lernte stattdessen das Freiburger Wagenburgenleben kennen und traf Menschen, die nichts weiter brauchen zum Glücklichsein als einen alten LKW am Straßenrand. Ich wohnte eine Woche lang bei einem 65-jährigen Mann aus Sri Lanka, der mich spontan zum Kaffee eingeladen hatte, und einer 21-jährigen türkischen Barockviolonistin. Wir spazierten über Friedhöfe, gingen auf Demonstrationen gegen Wagenverschrottungen und malten die Wände unseres Gastgebers an. Ich rauchte Pfeife und schminkte Männer. Ich stieg auf den höchsten Berg des Schwarzwaldes und verschlang die größte Schwarzwälderkirschtorte meines Lebens. Um es kurz zu machen: Es war wunderbar.

Das also zur Erklärung meiner einwöchigen lokaljournalistischen Funkstille.

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Auf dem Feldberg gibt es ein Schwarzwälder Schinkenmusuem, in dem man Gewürze schnuppern kann. Schmeckt auch Vegetariern.

Außerdem hatte ich in Freiburg noch eine Verabredung offen. In der Zeit als vor einigen Monaten ein kleiner Mini-Shitstorm der Wandergesellen über mich hinwegbrandete, bekam ich eine sehr besondere Mail. Ein einheimischer Steinmetz schrieb mir ganz offen:

Ich würde dich bitte, auf deiner „Wanderschaft“, mal kurz in Freiburg im Walfisch vorbei zu schneien! Meine Nummer ist dort hinterlegt. Deine Idee finden ich ja im Grundsatz ganz gut und verständlich. Doch ich würde dich gerne mal persönlich kennen lernen. Denn zwischen Handwerk u. Journalsimus besteht halt eine verdammt große Lücke. Ich würde deine ersten Erfahrungen sehr gerne direkt von dir hören. Und bitte, bitte kleide dich nicht so wie wir Gesellen!

Hasenherz wie ich bin, hatte ich panische Angst in die Gesellenkneipe zu gehen. Dabei hatte ich schon in der Hamburger „Brigitte“ nur Bestes erlebt und auch die Herberge der Rechtschaffenden Fremden in Harburg besucht. Über den Walfisch hatte ich einige Legenden gehört und ich stellte mir vor, wie eine Trinkhalle wütender Wandergesellen auf mich wartete. Es kam mal wieder alles ganz anders als gedacht. Nach der Pfannkuchen-Happy-Hour begann eine große Feierei im Walfisch. Ich kam um 18 Uhr und ging morgens um 6 Uhr. Ich begegnete spannenden Menschen und hatte einen fantastischen Abend. Ich lernte viel Neues, von dem das meiste hier ungesagt bleiben soll. Ingsamt zeigt sich aber ein Muster: Es lohnt sich dahin zu gehen, wo man am meisten Bauchziepen hat.

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Sonderparkzone fürs Knutschen

So. Und nun werde ich tatsächlich weiterreisen. Denn ich bin sicher, dass es noch viel Spannendes über den Lokaljournalismus zu lernen gibt. Und überhaupt auch. Ich werde wieder brav in die Redaktionen tippeln, aber im Herzen auch ein bisschen hier bleiben. Von Wilhelm Busch kriegt ihr jetzt vor euren Computern noch die Klassiker-Keule um die Ohren gehauen:

Viel zu spät begreifen viele
die versäumten Lebensziele:

Freude, Schönheit der Natur,
Gesundheit, Reisen und Kultur,

Darum, Mensch, sei zeitig weise!
Höchste Zeit ist’s! Reise, reise!

4 Antworten auf Station #8 Freiburg, das kommt von frei
  1. Robert sagt:

    Tolle Aktion. Schade, dass du dir ausgerechnet bei uns im Badischen eine Auszeit gegönnt hast. Hätte dich gerne in die BZ-Lokalredaktion nach Schopfheim eingeladen. Unsere Seiten sind nicht ganz Kaninchenzüchterfrei, doch schaffen es die Langohren wenigstens nicht mehr auf die Titelseiten. Danke für das Lob an die BZ, ja wir geben uns seit einiger Zeit wirklich Mühe mit den Geschichten vor Ort.

  2. Niels sagt:

    Ich finds völlig richtig, das Projekt „Wortwalz“ zu nennen, denn genau das ist es doch.

  3. Roland sagt:

    Na, das ist doch klasse! Es gefällt mir, wie du das machst. Das nimmt dir niemand mehr und du wirst davon zehren und hoch gewinnen! Ich habe auch kapiert, etwas spät, mach das unbedingt so, wie DU willst. Sollte es sich ergeben, dass wir mal zusammen wandern, freue ich mich sehr. rojo

  4. Thomas_U sagt:

    Danke für den Bericht!

    Dir ging’s ja richtig gut hier.

    mit herzlichen Grüssen

    Thomas