Wie ich bei der onlinigsten Regionalzeitung mit einem Twitter-Gewitter begrüßt wurde, wie ich im Westerwald die Total-Lokal-Karnevals-Plakette verliehen bekam, über Flüchtlingsgeschichten stolperte und mich doch freute, wenn man Fremden die Tür öffnete. Außerdem im Blatt: Katzen, Kriminalität und Hitlers Ehrenwürgerbürde
Alliterationsalarm: WW im WW – Wortwalz im Westerwald – Da konnte ich einfach nicht widerstehen. Bin beim Trampen durch Rheinland-Pfalz irgendwann von so vielen Westerwälder-Kennzeichen-Fahrern stehen gelassen worden, dass ich beschlossen habe, mir dieses Völkchen mal genauer anzuschauen. Also purzelte ich von der Autobahnraststätte Montabaur in die Stadt und fragte mich zur Redaktion der Westerwälder Zeitung durch, einem Regionalteil der Rhein-Zeitung. Es war Montagabend, 19 Uhr, es regnete, und ich hatte mal wieder kleinen Plan. Klopf, Klopf, an der Tür. Drei Redakteure staunen mich an. Und: Zack! So schnell wie hier hatte ich noch nirgendwo ein Bier in der Hand.
Die Kollegen bringen mich spontan in der Jugendherberge unter. Im Gästebuch entdecke ich, dass dort vor mir schon der Bund deutscher Zupfmusiker, genauer: der Ausbilderkurs für Mandoline und Gitarre, untergebracht war. Nettes Haus, es gibt Hagebuttentee und ein Redakteur steckt mir noch schnell 30 Euro zu, damit ich die Übernachtung bezahlen kann. Die Abmachung ist: Ich schreibe, dafür werde ich in der Jugendherberge untergebracht. Als Nachtlektüre bekomme ich von den Kollegen die aktuelle Zeitung mitgeben und weiß sofort: Ich bin am richtigen Ort. Von folgenden drei sensationellen Titel- und Unterzeilen wird mein Interesse geweckt:
1. Tierheim Montabaur kämpft mit einer Stubentigerflut (Ein Text über eine so zu nennende Katzenschwemme, das große Wort Stubentigerflut taucht leider nur im Printteil auf, katzenjammerschade)
2. Vorsicht, wenn ein Fremder klingelt! (Ein Text mit Tipps von der Polizei, dass man vorsichtig sein soll, wenn jemand an der Haustür um ein Glas Wasser oder Zettel und Stift bittet. Achtung, Wortwalz!)
3. Rückeroth will Adolf Hitler die Ehrenbürgerwürde aberkennen (Ein Text. Nun ja, siehe Link. Ich sollte mich bei dem Wort noch oft verhaspeln und dann Ehrenwürgerbürde sagen)
Ich persönlich profitiere sehr davon, dass sich die Redaktion nicht an ihre eigenen Tipps hält und durchaus die Tür öffnete, als eine Fremde klingelte. Eine ganze Woche lang darf ich beim Zeitungmachen zuschauen. Ich besuche das Haupthaus der Zeitung in Koblenz und spiele Mäuschen in spannenden Konferenzen. Zur Rheinzeitung wollte ich vor allem auch deshalb, weil sie so einen guten Onlineruf hat. Sie war eine der ersten Regionalzeitung mit eigenem Social-Media-Beauftragten und ist im Netz umtriebig wie nicht viele andere. Schon früh haben sie hier schöne Webreportagen, zum Beispiel Arabellion, gemacht. Es gibt Storifys über den Feueralarm im Landtag. Gerade tüftelt man bei der Rheinzeitung an einem virtuellen Schlaglochmelder. Themen werden selbstredend auch digital generiert. Als zum Beispiel mal ein Twitter-Follower fragte, warum da ein Hubschrauber über dem deutschen Eck kreise, waren RZ-Reporter die Ersten, die vor Ort noch den Menschen trafen, der dort ins Wasser gefallen war. Wenig überraschend, dass mich die Rheinzeitung auch auf allen digitalen Kanälen fahnenschwenkend begrüßt. Es fühlt sich ein bisschen absurd an, wenn mich erst der Chefredakteur mit dem Digitalchef fotografiert und das twittert, mich dann der Digitalchef mit dem Regio-Chef fotografiert und das bei Facebook postet. Hilfe. Ähhhh…. Am besten finde ich da noch den Apfelkuchen vom Chefredakteur.
Im Blatt fand ich einige spannende Ideen. Zum Lokalaufmacher im Westerwald wird eine Geschichte über zwei Zwillingsomas, die an unterschiedlichen Tagen Geburtstag haben. Skurril, Persönlich und lokal. Sowas mag ich. Aber auch die Serie mit dem Titel „Kauf lokal“, für die die Reporter den örtlichen Einzelhandel portraitierten, finde ich super. Anstatt lauter Buchhändler rumningeln zu lassen, dass jetzt irgendwie alle bei Amazon ihre Bücher bestellen, versuchten die Autoren herauszufinden, wo auch regionale Händler vom Netz profitieren. Für diese Art regionaler Wirtschaftsberichterstattung gab’s auch neulich einen Ritterschlag. Apropos: Ritterschlag. Die Rheinzeitung ist auch jene Zeitung, die sich die raffinierte Sache mit dem Burgenblogger hat einfallen lassen. Man hat hier überhaupt ein großes Herz für Bloggerinnen. Allerdings verschwinden auch bei der Rheinzeitung seit zwei Monaten die Texte hinter einer Paywall. Der Digitalchef ist glücklich damit. Menschen, die gerne lokale Texte auf Social-Media-Kanälen teilen würden, wie auch ich, können das naturgemäß nicht wirklich sein. Ein Problem, auf das andere bessere Antworten haben, wie ich finde.
Ich selber durfte in dieser Woche ausgiebig ein Thema recherchieren, das mir schon an vielen anderen Stationen begegnet war und das mir sehr am Herzen liegt: Flüchtlinge. In jedem Kreis, jeder Kommune und damit in jeder Lokalzeitung ist zur Zeit die große Frage, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird. Oft hatte ich beim Lesen das Gefühl, es gehe um Quoten und Verteilungsschlüssel, nicht um die Menschen dahinter. In Montabaur durfte ich mir die Zeit nehmen, Flüchtlingsfamilien zu besuchen und wartete im Kreisverwaltungshaus so lange, bis der angekündigte Bus mit neuen Asylsuchenden ankam. Ich schrieb darüber eine Westerwald Extra Seite. Und doch ließen mich die Erlebnisse nicht mehr los. Als ich mit den Ankömmlingen in der Behörde wartete, hätte ich mir so sehr gewünscht, dass einfach mal einer der Beamten zu ihnen sagen würde: Herzlich Willkommen im Westerwald. Stattdessen werden den Menschen, die vielleicht seit Wochen oder Monaten auf der Flucht sind, die Pässe abgenommen. Keiner sagt ihnen, wo sie hinkommen. Der Busfahrer meckert, dass sie so viele Plastiktüten dabei haben. Sie werden verwaltet.
Wieder einmal wurde mir klar, was für ein unglaubliches Privileg es ist, dass ich überall willkommen geheißen werde. Es gibt mir zu denken: Mir öffnen Menschen seit Wochen und Monaten schnell und unkompliziert Türen und Herzen. Man gibt mir Essen und Schlafplätze. Manche waschen meine Wäsche, ein Kollege schenkt mir eine riesige Milka-Schokolade zum Abschied und sogar die Praktikantin steckt mir verrückterweise einen 20-Euro-Schein in den Rucksack. Überall hagelt es Hilfe. Das ist wunderbar. Und manchmal denke ich doch, es steht mir gar nicht zu. Ich wünschte ich könnte mehr von der Großzügigkeit und Gastfreundlichkeit an jene Menschen weiterleiten, die sie wirklich brauchen.
Jetzt ist Mitte Oktober. Das geplante Ende der Wortwalz am 1. November rückt immer näher. Aber ich hinke hinterher. An so vielen Orten war ich noch nicht. In Montabaur bin ich an einem Nähladen vorbeigelaufen und habe ein Kursangebot gelesen: Angefangenes zu Ende bringen. Diesen Kurs müsste ich besuchen. Gerade bin ich am rätseln: Wie soll die Reise weitergehen? Ich war noch kaum im schönen Osten, ich habe noch keine Lust damit aufzuhören durch den Lokaljournalismus zu stöbern. Es gibt noch so viel lernen. Hat jemand eine Idee, wie man Angefangenes noch nicht zu Ende bringt ohne dabei den Faden zu verlieren?
Man könnte mit den eigenen Erfahrungen anderen helfen, ähnliches zu erleben, selbst eine Gesellenreise zu machen. So könnte man durch die Erfahrungen der anderen weitermachen.