Meisterschnack #7 Michael Stoll

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„Fühlen ist ganz wichtig“, sagt Michael Stoll von der Rhein-Zeitung.

In seinem Büro steht eine E-Gitarre, an den Wänden hängen Rockstar-Fotos, auf seiner Brust prangt Jimi Hendrix auf: Michael Stoll ist nicht nur der Wilde unter den Regio-Chefs. Er ist auch der, der gefühlt schon in jeder Lokalredaktion der Rheinzeitung mal Leiter war. In meiner Zeit bei der Westerwälder Zeitung fuhr er mich tapfer auch zu später Stunde durch die Gegend. Im Meisterschnack erklärt er, warum er sich so gerne von Lesern beschimpfen lässt und wer Oma Puhvogel ist. Zugegebenen – ein sperriges Gespräch. Aber wie es sich für einen guten Kerl mit ein bisschen Rock’n’Roll-Attitüde gehört, erlaubt Stoll sich eine Extrawurst: Er ist der Erste, dessen Meisterschnack ich authorisieren lassen muss. Bittschön.

1.  Herr Stoll, warum sind Sie Lokaljournalist geworden?

Ach Gott, jetzt kommt hier die Sinnfrage? Können wir nicht mit der zweiten Frage anfangen?

Nee.

Weil es der schönste Beruf der Welt ist. Ich habe als freier Mitarbeiter angefangen, ich wollte das nach dem Abitur schon werden. Weil man nirgendwo näher an den Menschen dran ist wie als Journalist.

Sie hätten ja auch Friseur werden können, dann wären Sie auch ganz nah an den Menschen dran gewesen…

Joa. Aber ich habe kein Talent zum Haareschneiden.

Und warum nicht Rockstar?

Weil ich kein Talent habe zum Singen oder zum Gitarrespielen. Nein, ich habe ein Talent zum Schreiben.

2. Wenn Aliens auf der Erde landen würden, wie würden Sie ihnen Ihre Arbeit beschreiben?
Das für mich Wichtigste und hoffentlich auch das für meine Leser Wichtigste zu vermitteln. Das, was jeden Tag in meiner Region geschieht. Das kann der 90. Geburtstag von Zwillingen sein, die an unterschiedlichen Tagen Geburtstag haben. Das kann ein wichtiger Gerichtsprozess sein. Das kann eine kommunalpolitische Entscheidung sein. 400 Zeilen oder 4 Zeilen. Aufgabe eines Redakteurs ist es, das zu gewichten.

3. Was macht Ihre Lokalredaktion besonders?
Ich hoffe, dass wir so verwurzelt sind in der Region, dass wir jeden Tag das wiedergeben, was die Leute denken und fühlen. Fühlen ist ganz wichtig. Da wird selten drüber gesprochen in unserem Beruf. Aber ich glaube, dass das Gefühl, die Emotionalität eine ungeheuer große Rolle spielt. Ein Lokaljournalist, der nicht die Menschen mag und die Region, in der er arbeitet, der kann dort kein guter Lokaljournalist sein. Ich würde das für mich selbst zumindest sagen: Ich liebe diese Region. Ich komme von hier, ich mag die Menschen. Ich arbeite für die, ich setze mich für die ein. Ich muss mich einfühlen können. Man muss nicht unbedingt von hier kommen, aber ohne Empathie geht es nicht.

Wozu drucken wir das eigentlich? Die Vereinsbeilage der RZ

Wozu drucken wir das eigentlich? Die Vereinsbeilage „Wir von hier“ liegt der der Rhein Zeitung bei, noch.

4. Wie sieht die Westerwälder Zeitung in 10 Jahren aus?
Die wird meines Erachtens eine Onlinezeitung sein. Gar nicht mehr gedruckt. Aus zweierlei Gründen: Auch für immer mehr ältere Menschen wird das Internet zu einer Selbstverständlichkeit. Ich glaube, die Technik wird sich insoweit noch weiterentwickeln, dass ich mir die Zeitung auch Zuhause ausdrucken kann, wenn ich das unbedingt will. Und ich glaube, dass Zeitungen, die in einer ländlichen Fläche angesiedelt sind, nur noch so finanzierbar sein werden. Irgendwann wird man diesen Apparat an Druckkosten und Zeitungsausträgern nicht mehr bezahlen können. Naja. Ich glaube es wird in zehn Jahren bei der Rhein-Zeitung insgesamt immer noch Papier geben, aber gerade in den ländlich strukturierten Regionen wird es Probleme geben, eine gedruckte Zeitung in jedes Dorf zu bringen. Wenn es in Rheinland-Pfalz in zehn Jahren überall vernünftige Internetverbindungen gibt, dann wird es auch Lokal-Zeitungen zunehmend als Onlinezeitungen geben.

5. Was kann ich bei Ihnen lernen?
Wenn Sie Talent und entsprechende Anlagen haben, können Sie hier Schreiben lernen. Sie können Lokaljournalismus von der Pike auf lernen. Vom Männergesangverein über den Kreisjagdverband bis zum Symphonieorchester. Das haben wir alles hier. Und im Westerwald können Sie Schnapstrinken lernen. Basaltfeuer, 56%. Furchtbares Zeug. Das schreiben Sie bitte nicht…

6. An welche Geschichte erinnern Sie sich noch heute?
Eine der Geschichten, auf die ich stolz bin, liegt sehr lange zurück und ist erschienen in der Koblenzer Stadtausgabe zu Weihnachten. Da war ich mit einer hochschwangeren Bekannten ziemlich abgerissen unterwegs, denn wir haben als Maria und Josef eine Herberge gesucht. Und natürlich keine gefunden. Das war vor etwa 24 Jahren. Wir haben die Weihnachtsgeschichte in die Jetzt-Zeit verlegt. Das war der Lokal-Aufmacher in der Heilig-Abend-Ausgabe. Später habe ich das häufig in der Drehscheibe oder anderen Branchemedien wiedergefunden, als Themenidee für Lokaljournalisten.

Was mir aber mindestens genauso wichtig ist, dass wir mit verschiedenen Stories kommunalpolitische Entscheidungen in dieser Region beeinflussen konnten. Zum Beispiel: Die Stadt Lahnstein wollte vor einiger Zeit ein heruntergekommenes Industriegebäude kaufen und dort ihre Verwaltung unterbringen. Das hat in der Bevölkerung ganz allgemein für Kopfschütteln gesorgt. Wir waren als Zeitung von Anfang an gegen dieses Projekt und haben in Kommentaren ganz klipp und klar Kante gezeigt. Umfragen gemacht, Abstimmungsergebnisse analysiert. Damit haben wir echt den Nerv unserer Leser getroffen. Später wurde der Vorschlag in der Ratssitzung mit einer Stimme Mehrheit abgelehnt. Zeitung machen heißt, sich einmischen, und das bedeutet: Ich kann auch etwas verändern.

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„Manchmal wurden wir mit Standing Ovations begrüßt, manchmal hätten die uns am liebsten geteert und gefedert.“ Was Stoll vom Lokaljournalismus erzählt, klingt wild. Im Büro hütet er Passendes.

7. Wie stellen Sie sich Ihre Leser vor?
Weiblich, Mitte 50, katholisch, auf dem Land lebend. Ich glaube, die Kür unseres Berufes ist es, so interessant schreiben zu können, dass es Oma Puhvogel versteht und der Professor nicht gelangweilt ist.

Diese Oma ist mir schon öfter begegnet, die hieß in anderen Redaktionen bloß anders… In Pfaffenhofen sagte mit der Lokalchef: Du musst so schreiben, dass die Huber-Oma aus Jetzendorf dich versteht.“  Okay, nächste Frage:

8. Auf der Walz lernen Gesellen die Geheimrezepte ihrer Meister. Welches können Sie mir verraten?
Das ist kein Geheimnis, aber ich kann Ihnen bloß raten: Immer zu den Menschen hin zu gehen. Offen zu sein, egal ob das ein Penner oder ein Linguistikprofessor ist, interessiert und neugierig zu bleiben, sich mit Menschen zu unterhalten. Ansonsten habe ich keine Berufsgeheimnisse.

9. Wie kommunizieren Sie mit den Lesern?
Wie alle anderen auch: Erstmal übers Blatt. Dann eben: So häufig wie möglich rausgehen, sich als Journalist zu erkennen geben. Sich bei Terminen nicht irgendwo in die hinterste Ecke drücken und so tun, als ob man nicht da sei. Sondern klarmachen, ich bin ein Teil des Ganzen. Man sollte nicht abtauchen, sondern sagen: Hier bin ich. Und ich bin doch nicht klüger als meine Leser! Ich mache Fehler, wie andere auch. Je häufiger ich mit Lesern in Kontakt komme, desto besser. Wenn einer anruft und sich beschwert, versuche ich mich mit demjenigen zu treffen. Das ist hochinteressant. Wenn mir ein Leser erzählt, wie er meine Arbeit sieht, dann kann ich daraus nur lernen – auch nach 30 Jahren in diesem Job.

WW

Lange Riemen schrieben die Kollegen über mich im Westerwald #Gruselfoto

Wir hatten zum Beispiel in einer Ausgabe, in der ich Redaktionsleiter war, etwas eingeführt, das nannten wir offiziell Stammtisch. Das heißt, die Redaktion war alle zwei Wochen zu Gast in einem anderen Dorf oder Stadtteil. Dann gehen Sie da hin mit zwei, drei Kollegen und der Bürgermeister hat die Gemeindehalle hergerichtet. Bei manchen dieser Sitzungen waren vier, fünf Leute da. Bei anderen 140, samt Pfarrer und Kindergartenleiterin. Manchmal wurden wir mit Standing Ovations begrüßt, manchmal hätten die uns am liebsten geteert und gefedert. Am Anfang habe ich dann stets gesagt: „So Leute, jetzt beschimpft uns mal!“ Und die Menschen haben offen gesagt, was ihnen auch an ihrer Zeitung stinkt. Aber sie haben stets „unsere Zeitung“ gesagt, die sie als Leser verbessern wollten. Das war wunderbar. Da haben die Leute ihre Redakteure kennengelernt. Wir haben ja hier Landkreise mit bald 192 Ortsgemeinden und Städten. Ich kann im Alltag nicht überall sein. Aber wenn ich gezielt anbiete, die Zeitung und ihre Macher kennen zu lernen, dann rufen die Leute auch eher an. Das gegenseitige Verständnis wächst, das ist ganz wichtig.

10. Was tun Sie, um das Aussterben unserer Zunft zu verhindern?
Das, was wir alle tun müssen. Wir müssen ein Produkt machen, das Menschen in einer bestimmten Region als unentbehrlich ansehen. Und für das sie bereit sind Geld zu bezahlen. Die Vertriebswege sind dabei völlig egal: Ob das eine Onlinezeitung ist oder ob das Print ist, ob wir trommeln oder in Runen auf Steine meißeln – vollkommen egal. Das Wichtigste ist, interessant zu bleiben, nachrichtlich exklusiv und dabei den emotionalen Faktor nicht zu vergessen. Sich einmischen, nicht nachlassen, wir müssen noch besser werden! Die goldenen Zeiten sind vorbei, als jeder noch dachte, man braucht einfach eine Zeitung. Der Markt ist schwieriger geworden und damit anstrengender für Lokalredakteure. Aber so gut wie wir mit unserem lokalen Know-how kann es niemand anders. Also muss unser Anspruch sein: Es jeden Tag noch ein bisschen besser machen als vorher. Ich sage ja nicht, dass dies jeden Tag gelingt. Was gelingt schon jeden Tag? Nicht mal meiner Frau das Mittagsessen, und die kann verdammt gut kochen.

2 Antworten auf Meisterschnack #7 Michael Stoll
  1. Wortwalz sagt:

    Da muss ich den Kollegen ein bisschen in Schutz nehmen. Er hat tatsächlich nur auf Fehler gegengelesen und kaum Sachen rausredigiert. Das hat mich überrascht und gefreut, weil es ja so doch noch ein lebhaftes Gespräch geblieben ist, Ich habe schon ganz andere Authorisierungs-Albträume, vor allem mit Promis, erlebt. Seitdem ich aber selber auch mal Interviews gegeben habe, für Branchenmedien zum Beispiel, kenne ich dieses seltsame Gefühl besser, wenn man sich nach dem Interview fragt: Oh Gott, was habe ich da bloß geplappert…?

  2. Harry Never sagt:

    Das Genehmigenlassen ist so eine Unsitte des deutschen Journalismus. Eines der vielen Bausteine, die einen nicht mehr an den „Qualitätsjournalismus“ glauben lassen.

    Wenn der Herr es genehmigen will, dann soll er es direkt selber schreiben. Der Unterschied zu einem genehmigten Interview und einer Pressemitteilung ist nur marginal und hat nichts mehr mit Journalismus zu tun. Ich weiß, das macht man so, dass steht im kleinen Journalistenhandbuch. Nur sollte man sich langsam mal von dieser obrigkeitshörigigen Arschkriecherei frei machen.

    Dass er „seine“ Zeitung zu Kampagnen einsetzt und noch stolz auf das Ergebnis ist, na ja. Deutscher „Qualitätsjournalismus“ …