„Jetzt haben wir gleich zwei Mal die Schweinemast drin!“, ruft Lokalchef Robert und in diesem Moment weiß ich: Ich bin angekommen mitten im Lokaljournalismus. Mein erster Krauter, mein erster Arbeitgeber auf der Wortwalz, ist der Pfaffenhofener Kurier. Genau an der Grenze meines Bannkreises um München herum habe ich hier in der Redaktion Halt gemacht. Keiner war vorgewarnt, keiner kannte mich. Es war die Probe aufs Exempel, ob die Wortwalz-Idee auch so funktioniert. Die Redaktion liegt mitten am Hauptplatz der kleinen Stadt mit rund 24.000 Einwohnern. Ich kam gegen Mittag verschwitzt und verloddert die Treppen hochgestapft und sagte, dass ich hier mitarbeiten wolle.
„Jau, guad, dass wir noch nicht zum Mittagessen gegangen sind“, ruft gleich der erste Redakteur hinter seinem Rechner. Hier wird viel gelacht, das Team ist jung. Ausführlich darf ich mich beim stellvertretenden Redaktionsleiter Rudi Gegger vorstellen. Wir einigen uns: Ich kann einige Tage beim Pfaffenhofener Kurier arbeiten und werde bei mehreren Redakteuren übernachten und versorgt werden. Wunderbar.
Meine Themen: Abtauchen im Lokalen
Ich setze mich also gleich an den ersten freien Rechner und da ich zu Studentenzeiten mal als freie Mitarbeiterin beim Ingolstädter Donaukurier, dem Mutterschiff der Zeitung, gearbeitet hatte, gibt es sogar noch mein altes Kürzel (soj) im System. Ich redigiere Polizeimeldungen (Polizei sucht Zeugin, Chemikalie läuft aus Lkw…), schreibe an einem Text über die Realschulsanierung mit und besuche einen Berufstaucher, der mit seiner Firma für Unterwassertechnik hier in der Region der einzige seiner Zunft ist (Zitat: „Das hier ist ein Handwerksberuf und nichts für Sporttaucher!“)
Meine Kollegen: Junges Team + „alte Dackel“
Bei der morgendlichen Redaktionskonferenz fällt mir auf, dass alle Redakteure sich beim Blattmachen beteiligen. Nicht ein Einzelner plant die Seiten, sondern es gibt eine lebhafte Debatte, wo welcher Text stehen soll. Ich erfahre, dass die Redaktion vor etwa einem halben Jahr zwei Unternehmensberater zu Besuch hatte. Zuerst seien die gefürchtet gewesen. Doch bald hätten die Mitarbeiter gemerkt, was ein Blick von außen bringen kann (Mehr dazu hier demnächst im Interview mit dem Redaktionsleiter, beim Meisterschnack).
Besonderheiten: Regionalbeilage
Eine Besonderheit dieser Lokalredaktion ist die Regionalbeilage, die immer freitags erscheint. Auf vier bis sechs Seiten finden Vereine und örtliche Gruppe in epischer Größe Platz. Früher hätten die Redakteure diese Beilage intern als eine Art „Resterampe“ betrachtet, erzählt einer. Heute aber – nach der Beratung und der konzeptionellen Neuausrichtung – sehen die Mitarbeiter die Beilage als besonderen Platz. Von den Lesern gibt es zu diesen Seiten besonders oft Rückmeldungen, erfahre ich.
Die Leser lieben Schuhverkäufer
Apropos Leser: Die Rückmeldungen kommen hier ganz direkt an. Ein Leser habe sogar schon mal einen vollgekotzten Briefkasten in die Redaktion gebracht, als Ausdruck seines Protest, erzählt der Vize-Chef. Ein anderer Kollege bekommt folgende Mail, während ich neben ihm arbeite:
„Wenn Sie schon so vertraut vom „Elend“ schreiben, so sollten Sie vielleicht wissen, dass das Elend nicht zu Affalterbach, sondern zu Uttenhofen gehört. Allgemein dürften Ihren Reportern ein bisschen Heimatkunde üben nicht schaden, denn immer wieder stelle ich fest, dass hier ein Defizit besteht. Einige Beispiele der letzten Tage: „Unterspülung des Bahndammes bei Affalterbach“: Auf dem ehemaligen Gemeindegebiet von Affalterbach gibt es keine Bahnlinie. Wenn dann war das bei Uttenhofen oder Walkersbach. Außerdem: Der Ortsteil Gerolsbach heißt nicht Gröben, sondern Gröbern“
Auf die Verwechslung der Ortsnamen hin, ruft der Redakteur den Leser an und hört sich sein Beschwerde nochmals an. „Das machen wir immer so, jeder Abonnent ist uns wichtig“, sagen sie hier. Am anderen Tag stehe ich mit den Lokalredakteuren vor der Eisdiele, als ein älterer Herr vorbeispaziert kommt. Es ist der stadtbekannte Schuhverkäufer Gurkerl, über den der Volontär am Vortag berichtet hat. Die Story, dass der Gurkerl wieder einen Schuhladen hat, bekam online mehr Klicks als alle anderen lokalen Aufmacherthemen in dieser Woche. „Super G’schicht!“, brüllt Gurkerl, während er dem Volontär auf den Rücken klopft und beinahe das Eis aus der Hand schlägt. Ein Journalistenkollege erzählt: Der Mann habe der halben Redaktion schon Schuhwerk verkauft, bevor die überhaupt hätte laufen können…
Ein schönes Beispiel, wie man bundesweite im Lokalen Themen herunterbrechen kann, war der Geburtstag von Angela Merkel. Dazu überlegten sich die Redakteure des Pfaffenhofener Kuriers einen eigenen Dreh: Sie nahmen Bezug auf die „Merkel-Raute“ und fotografierten Lokalpolitiker mit ihrer eigenen Erkennungs-Geste. Besser allemal als die klassische Straßenumfrage: „Was wünschen Sie der Bundeskanzlerin zum Geburtstag?“ Stiefkind der Redaktion ist aber eindeutig der Onlineauftritt. Die Bezahlschranke bremst jeden Onlineleser, die Facebookseite findet nur pro forma statt.
FAZIT: Beim Pfaffenhofener Kurier habe ich gelernt, wie lustig und liebevoll Lokaljournalismus gemacht werden kann. Ein Redakteur sagte: „Ich bin nicht in erster Linie Journalist – ich bin vor allem ein Mensch von hier.“ Der Wunsch Dinge zu verbessern ist hier sehr stark (z.B. Spielgeräte für die Kita, Sanierung der Schule). Vor allem bin ich restlos begiestert wie gastfreundlich und großherzig man mich hier aufgenommen hat. Ich merke, wie wichtig eine gute Stimmung in der Redaktion ist, um strukturelle Veränderungen anzugehen. Und ich merke: Das mit der Wortwalz könnte klappen…
Hier nochmal alle Fakten zum Pfaffenhofener Kurier auf einen Blick:
Einzugsgebiet: Landkreis Pfaffenhofen und 19 Landkreisgemeinden
Auflage: 15.000 Exemplare
Redaktion: 6 festangestellte Lokalredakteure, ein Sportredakteuer, ein Volontär und rund 50 freie Mitarbeiter
Onlineauftritt: Online mit Bezahlschranke. Der Facebookauftritt wird kaum genutzt
Und hier ist der Artikel des Kollegen Patrick über mich, die Journalistin mit dem „charmanten Lächeln und dem lustigen Hut“
[…] immer noch staunend vor „diesem Internet“ stehen. Auch ich habe ja auch der Wortwalz schon Ähnliches erlebt. Hier sind sich alle einig: „Die Formdebatte ist ausgelutscht“. Sie wollen nicht […]