Heimgehtippelei

Wie ich nach drei Monaten und einem Tag Wortwalz beschloss: Die Reise geht weiter. 

Wortwalz

Losgehen ist leichter als Heimkommen, sagen die Gesellen. Drei Monate und ein Tag auf der Wortwalz sind rum. Ich stehe immer noch da und staune.


Noch bevor ich im Juli 2014 losgewandert bin, haben Gesellen mir einen Satz zugesteckt. Der baumelte seitdem in meinem Knopfloch. Er lautet: Losgehen ist leichter als Heimkommen. Puh, dachte ich damals, dieser Satz war schon vorher eine rechte Zumutung, denn ich fand den Aufbruch abenteuerlich genug. Da ahnte ich ja noch gar nicht, was mir alles noch bevor stehen würde.

Nun bin ich also drei Monate und einen Tag unterwegs gewesen. Habe zehn Stationen gemacht, in vielen verschiedenen Lokalredaktionen von der Küste bis zum Schwarzwald gearbeitet. Ich bin getrampt mit der Feuerwehr und ihrem neuen Löschfahrzeug und mit vielen anderen. Ich habe kein Geld fürs Übernachten ausgegeben, sondern im Wald, auf dem Spielplatz, bei Redakteuren, im Baumhaus, auf der Wiese des Zuchtbullen Enzo und mit Obdachlosen unter der Brücke übernachtet.

Ich habe immer wieder Orte des Gesellenwanderns aufgesucht. Ich war auf der Sommerbaustelle der Freireisenden, habe Buden und Gesellenkneipen besucht. Bin in Fußgängerzonen Menschen mit Kluft hinterher gerannt, habe mich auf Wagenplätzen rumgedrückt und Einheimische getroffen. Mir ist dabei klar geworden: Ich werde immer Kuhkopp bleiben. Also jemand, der nicht dazu gehört. Und das ist okay. Denn mit dem Zipfel, den ich erhaschen durfte, hatte ich schon genug in der Hand, um mein Bündel zu schnüren, mit dem Fähnchen zu schwenken und mein eigenes Ding zu machen.

Nun rückte dieses Datum immer näher: Am 1. November hatte ich ursprünglich geplant wieder nach München zu gehen. Aber ich hab ja gelernt: Pläne sind gut, Termine sind schlecht. Und so habe ich mir ein Ersatzprogramm für meine eigene Heimgeherei gesucht. Einer der freireisenden Bäcker, die ich auf der Sommerbaustelle in Kücknitz kennen gelernt hatte,  wollte nämlich am gleichen Tag heimgehen. Also trieb es mich erneut in den Schwarzwald. Ausgestattet mit der Information: „Wir sind unterwegs von Freiburg nach Lörrach und um 15 Uhr am Ortsschild“, machte ich mich auf den Weg.

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Sag mir, wo die Reisenden sind

Ich irre also durch Weil am Rhein an der schweizerischen Grenze und suche eine Horde Gesellen. Es müssen viele sein, das weiß ich. Ein aberwitziges Unterfangen: Ein Passant sagt „Da entlang!“, der nächste sagt „Zwei waren dort“. Einer fragt: „Habt ihr denn keine Handys?“ Ich lache. Zielstrebig steuere ich Rathaus und Touristen-Information an. Am besten wissen die Menschen in den Rinnsteinen der Republik Bescheid, also frage ich die Rastlosen, die vor dem Rathaus lagern. Ein Blick aus flackernden Augen und die Frage: „Bist du auf der Walz?“ Überall wird mir geholfen, nur die Heimgehtippelnden finde ich nicht.

In der Zwischenzeit passieren lauter verrückte Dinge: Ein Unternehmer-Ehepaar, dessen Firma jetzt insolvent ist, lädt mich zum Wein ein. Die beiden sind faszinierend und zugleich fasziniert von meiner Reise. Ich lasse für sie Revue passieren und sie beschließen: Ich soll heute im 4*-Hotel übernachten. Ich protestiere, weil ich doch Sternenhimmel auf der Straße gebucht hatte, und bekomme doch ein Zimmer.

Manchmal ist es nur ein Ausfallschritt zwischen Hotelbett und Plattemachen. Ein Zwinkern, ein Zögern, ein Zeichen kann schon den Unterschied machen, wie dieser Tag heute enden wird. Mich wundert immer wieder, warum mir solche Sachen passieren. Was mir auffällt: Menschen, die schon mal was verloren haben, fällt das Geben leichter. Egal, ob es das Dach überm Kopf ist oder das Cabrio vorm Haus ist, was plötzlich fehlt – Verlierer sind irgendwie die gewinnenderen Typen. Ich denke heute noch oft an die Jungs, die mich in Hamburg zum Schlafen mit unter ihre Brücke nahmen (Und freue mich, dass sie nun wieder eine Wohnung haben, wie ich neulich hörte!)

Das Draußensein hat jedenfalls etwas mit mir gemacht. Ich zweifele plötzlich, ob ich einen festen Wohnsitz brauche und wundere mich, wozu ich ein Journalistenbüro unterhalte. Beruflich hat mich meine kleine Wortwalz sicher voran gebracht.  Ja, man kann da draußen etwas übers Handwerk lernen. Die Redaktionen, in denen ich gearbeitet habe, haben mich manchmal begeistert, ermüdet, fasziniert und genervt und zum Lachen gebracht. Der größenwahnsinnige Trotzkopf, der das Harburger Blatt produziert, genauso wie die Lokalreporter, die noch nachts zum Aktualisieren in die Redaktion fahren. Ich habe mit den Meistern meiner Zunft geschnackt und viel dabei gelernt. Aber ab einem gewissen Punkt der Reise ging es längst nicht mehr nur um den Lokaljournalismus.

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Neulich in Weimar sah in ein Straßenschild: Jede Richtung richtig

Deshalb habe ich beschlossen selber noch nicht übers mein Münchner Ortsschild zu klettern. Es gibt noch so viele tolle Einladungen von Redaktionen, aber auch so viele spannende Orte ohne lokaljournalistischen Bezug, die ich nicht auslassen will. Deshalb habe ich beschlossen, einfach mal nur zu zugucken, wie jemand anderes nach Hause geht. Und selber noch ein bisschen zu warten, bis ich meine Schnapsflasche wieder ausbuddele.

Und so ist es Nachmittag, als ich in der Sonne am Lörracher Ortsschild im Gras liege. Hier warte ich auf die Wandernden. Ein Mädchen spielt Harfe, als die ersten Deckel am Horizont auftauchen. Bestimmt 40 schwarze Hüte. In Zick-zack-Linien laufen die Reisenden auf uns zu. Ich erkenne den Bäcker von Weitem, für den dies der letzte Tag seiner Walz ist. Ich bin froh hier zu sein und immer noch schrecklich aufgeregt. Dann zelebrieren sie all diese schönen Rituale, die dazu gehören. Die Reisenden bilden einen Kreis, Anekdoten von der gemeinsamen Zeit mit dem Heimgehenden werden erzählt. Schließlich gibt es eine Ohrfeige von jedem, Freischlagen ist wörtlich zu nehmen. Fix übers Ortsschild geklettert, den Schnaps ausgebuddelt, der dort seit über drei Jahren liegt und – zosch!

Zum Schluss stehen wir alle am Ortsschild und singen: „Heute hier, morgen dort.“ Und ich merke: Alles ist richtig. So wie neulich der Wegweiser in Weimar, an dem ich vorbei lief. In jede Richtung richtig. Und so folge ich meinem Bauchgefühl, dass es jetzt noch ein wenig weitergehen wird. Nicht mehr so sichtbar und nicht mehr so häufig dokumentiert, wie hier auf dieser Seite. „Deine Mission ist doch erfüllt“, sagte neulich jemand. Richtig, deswegen werde ich weniger bloggen, vielleicht auch manche Schleife drehen. Nicht vieles steht fest in meinem Leben gerade. Eines schon: Ich hör einfach nicht auf mit dem Quatsch. „Tippelei ist ne Droge“, sagte neulich einer zu mir. Der Trip hat grad erst angefangen. Offiziell ist die Wortwalz also zu Ende. Aber die Reise geht weiter.