Station #10 Wechselbad in Weimar

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Wildwechsel in der Zone: Wie ich in Weimar erlebte, wie mit Minimalmitteln Zeitung gemacht wird. Eine muntere Stadt, eine müde Lokalredaktion. Und lauter seltsame Gestalten: ein Eiermann, ein Elfenforscher, und tatsächlich: Der Leser. Ich lebe in der luxussanierten Wohnung und besuche Menschen, die in Bauwägen hausen. Nebenbei plante ich meine feindliche Übernahme durch die Konkurrenz – und landete schließlich ein Stockwerk tiefer.

In Weimar stolpere mal wieder in eine prekäre Situation auf dem Zeitungsmarkt: Die Thüringer Allgemeine (TA) und Thüringische Landeszeitung (TLZ) waren einst Konkurrenten und sollen heute Kollegen sein. Die Redaktionen sitzen in zwei Stockwerken des gleichen Hauses. Sie tauschen Texte, aber keine Zuneigung miteinander aus. Bis vor zwei Jahren versuchten sie jeweiles besser zu sein als der andere. Dann sollten sie einen Abend lang gemeinsam Bowlen gehen und dürfen sich nun die fertigen Stücke von den Seiten mopsen.

Das macht irgendwie alle unglücklich. Denn im Grunde gibt es einfach nicht genug Redakteure. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Ich lande als erstes bei der TLZ und spreche dort um Arbeit vor, wie ich es nun auf der Wortwalz gelernt habe. Die Euphorie hält sich in Grenzen (vielleicht bin ich aber auch einfach nur verwöhnt von der Rheinzeitung, wo ich zuletzt war). Irgendwie purzelt mir in den ersten fünf Minuten die Frage heraus: „Und macht es Ihnen Spaß hier Lokaljournalistin zu sein?“ Die Kollegin schneuzt erschöpft in ihr Taschentuch und sagt: „Ach wissen Sie, hier hat sich viel verändert“.

Auf dem DDR-Klapprad zum Pressehaus

Auf dem DDR-Klapprad zum Pressehaus. Erste Station ist die TLZ, dann laufe ich zur TA über. Ist eh alles das gleiche.

Man findet aber dennoch eine Unterkunft für mich, siehe letzer Blogbeitrag, und ich darf mitarbeiten. So richtig gemütlich will es in der TLZ-Lokalredaktion aber nicht werden. An einem Sonntag schmeißt mich eine Kollegin aus der Redaktion, weil ich zu laut mit meiner Mutti telefoniere. Privattelefonate nicht erwünscht.  Und ich staune: Mit dem Telefon in der Redaktion kann man nur innerhalb Thüringens telefonieren. Wer „rausfunken“ will muss über den Sekretariatsplatz telefonieren (auf dem ich später sowieso noch landen sollte).

Ich erlebe, was ich vielerorts schon gesehen hab, nur hier eben gebündelt: In den letzten Jahren sind immer mehr freie Redakteursplätze nicht nachbesetzt worden. Volontäre werden nach einem Einjahresvertrag nicht übernommen, dürfen aber gerne als freie Mitarbeiter weiter arbeiten. Wieder einmal bin ich froh, mein Handwerk bei der verlagsunabhängigen Journalistenschule gelernt zu haben. Ich bin gerne frei. Und werde nachdenklich. Durch die Erfahrungen der vergangenen drei Monate fällt mir auf, was es hier alles nicht gibt. In anderen Lokalredaktionen gibt es zum Beispiel standardmäßig morgens eine Blattkritik, wie bei der Schwäpo in Aalen. Es gibt unterhaltsame Serienformate, wie zum Beispiel „Der grüne Faden“ in Bayreuth. Es gibt aktive Lokaltwitterer und Onlinepioniere, wie in Koblenz. Hier gibt es das alles nicht. Hier gibt es einfach nur Pflichtprogramm. Kurz vorm Ermüdungsbruch. Auch wie hoch die TLZ-Auflage ist, bleibt geheim. Zahlen erfahre ich keine. Komisch.

Ich stromere durch die Stadt, im Café frage ich, warum es hier keine TLZ gibt. Die Kellnerin sagt: „Na wir haben doch die TA, da steht doch das gleiche drin“. Völlig nachvollziehbar, wenn man sich den Texttausch und die Bildauswahl anguckt (siehe unten). Ich denke: „Mistekiste. Biste wohl bei der falschen Redaktion gelandet.“ Überhaupt bin ich überrascht, wie wenig Menschen hier Lokalzeitung lesen. Weimar ist eine wunderbare Stadt mit wachen Menschen, kreativen Köpfen und beherzten Unternehmern. Aber irgendwie spielt die Lokalzeitung hier keine Rolle mehr. In manchen Miethäusern werde die Lokalzeitung von einem ausgelesen und an die Nachbarn weitergereicht, um Geld zu sparen.

Eigentlich wollte ich also schon weiterreisen. Aber es sind die Menschen, die mich an diesem Ort bleiben lassen. Mir laufen allerhand Geschöpfe zu: Ein selbsternannter Elfen-und Feenforscher, über den ich den Lokalaufmacher schreibe. Eine russische Permafrostforscherin, die in Jakutien schon Mammutelfenbein gefunden hat. Und ein Wolf. Wunderbar.

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Wenig später passiert etwas Aufregendes: Der Leser meldet sich zu Wort. Ein Herr Dr. Schulze ruft an. Er verlangt die Autorin des Textes über ein alternatives Wohnprojekt zu sprechen. Das bin ich. In sortenreinem Thüringisch fragt er: „Sagen Sie mal, Sie schreiben über ein Wohnprojekt im Baumschulenweg und warum ist da ein Foto von der Gegend um die Fuldastraße zu sehen?“

Ich sage: „Es gab auch Bilder vom konkreten Wohnprojekt, aber der Lokalchef wollte lieber ein Symbolbild zum Thema Wohnen in Weimar haben.“

Leser Dr. Schulz: „Das hat doch aber mit dem Baumschulenweg gar nichts zu tun!“

Ich: „Richtig, ich bin ganz Ihrer Meinung.“

Er: „Und nu?!“

Ich: „Ich kann das gerne an den Lokalchef weitergeben.“

Gesagt, getan. Begeistert erzähle ich vom Leseranruf, ich freue mich darüber, dass jemand meine Texte liest und einen – wie ich finde – sehr berechtigten Einwand hat. Der Lokalchef zuckt mit den Schultern. Herr Dr. Schulze stellt sich als Leser der Thüringischen Allgemeinen heraus. Damit ist er für den Lokalchef uninteressant. Auf meine Bitte hin sich nochmal beim Leser zu melden, passiert bis zum Abend nichts. „Der ist ja TA-Leser“, hieß es. Das finde ich wirklich enttäuschend. In anderen Lokalredaktionen habe ich erlebt, dass Redakteure sich gerne zurück melden. Hier schiebt man es sogar auf einen technischen Defekt, dass die Redaktionstüren von außen verrammelt sind und reagiert nicht auf Leserrückmeldungen.

Am nächsten Tag soll ich Sekretariatsarbeit übernehmen. Ich bin bockig, weil ich keine Lust habe nur Anrufe durchzustellen. Während meines Sekretariatsdienstes passieren dann aber lustige Sachen: Es klingelt an der Tür und jemand sagt „Hier ist der Eiermann.“ Muss lachen und denke: „Ja, klar!“ Plötzlich steht aber wirklich ein Mann in der Tür mit einem Körbchen frischer Eier, die Redakteurinnen schlagen begeistert zu kaufen begeistert ein.

Außerdem fällt mir auf: Es gibt hier bei der Zeitung  lauter traurige Randfiguren, die mich irgendwie rühren. Einmal kommt ein Mann zu mir ins Sekretariat, der gerne am Gewinnspiel teilnehmen möchte. Er wirkt verwirrt, verloddert. Das richtige Lösungswort des Kreuzworträtsels sei „Euro“, sagt es. Er habe aber kein Telefon, deswegen wollte er das persönlich durchsagen. Ich versuche ihm mehrfach zu erklären, dass er hier falsch gelandet sei. Hilft alles nichts. Ich drücke ihm jedenfalls die Daumen. Dann erzählt mir eine Kollegin auch noch: Der Mann, der hier das Mineralwasser liefert, nimmt regelmäßig die Zeitungen mit. Ich soll deshalb aufpassen, wo ich meine Zeitungen hinlege, die ich noch lesen will. Warum der Mann sie mitnimmt, will ich wissen. Dafür bekommt man ein paar Cent beim Altpapier, der will sich was dazu verdienen. Ich kann das alles gar nicht glauben und auch nicht, dass das hier so zum Alltag dazu gehören soll.

Das Wort zum Sonntag, persönlich vom Pfarrer vorbei gebracht - macht auch wieder Arbeit, puh

Das Wort zum Sonntag, persönlich vom Pfarrer vorbei gebracht – macht auch wieder Arbeit


Hier gibt es aber auch noch echte Originale: Der Pfarrer bringt das „Wort zum Sonntag“ noch persönlich vorbei. Auf Schreibmaschine geschrieben. „Ohje, jetzt müssen wir das wieder abtippen“, heißt es in der TLZ-Redaktion. Skurril geht es weiter: Später redigiere ich eine Meldung, die die Legefelder Ortsbürgermeisterin Petra Seidel geschickt hat, ein Bericht vom Bastelnachmittag mit Kindern. In epischer Länge schildert sie, dass die Kinder bei Kinderpunsch und die „Muttis und Vatis und Opas“ bei Glühwein Kürbisse schnitzten . Highlight ist der Satz: „Selbst einen kleinen Unfall hat es gegeben, denn Lara Nagel schnitt sich in den Finger. Wie gut, dass Petra Seidel selbst an Kinderpflaster gedacht hatte.“ Den Text hat also die Bürgermeisterin über sich selbst geschrieben und sich dann noch gefreut, dass sie ein Pflaster dabei hatte. Solche Meldungen landen in jeder Lokalredaktion zu Hauf. Es gilt dann daraus durch liebevolles Stutzen aber auch durch entschiedenes Redigieren etwas Lesbares zu machen. Nicht umsonst hat ja Joachim Braun mal mehr Haltung im Lokaljournalismus gefordert. Wahnsinnig anstrengend darüber nicht wahnsinnig zu werden.

Suche den Unterschied: TLZ  und TA sind Weimars Lokalzeitungen

Suche den Unterschied:  Weimars Lokalzeitungen ähneln sich nicht nur bei der Bildauswahl

Nach einer Woche ist es jedenfalls so weit: Ich wechsle die Seiten. Beziehungsweise die Stockwerke. Gehe von der TLZ zur TA. In der Redaktion der TA ist die Besetzung zwar genauso mau – ein Lokalchef und eine Redakteurin machen gerade alleine die vierseitige Lokalbeilage. Aber sagen wir mal so: Die Stimmung ist heiterer. Der Lokalchef fährt um Mitternacht noch raus zum Autobahnunfall und macht am nächsten Tag vier Termine. Zwischendurch bekommt er eine Whats-App-Nachricht vom Leiter einer örtlichen Spieplatzinitiative. Er liest laut vor: „Hast wohl keinen Platz für uns in deiner Zeitung? Trauriger Smiley, trauriger Smiley“. Für schöne Lesegeschichten hat er hier weder Platz noch Laune. „Der Tag diktiert so viel auf, das blockiert dich“, sagt er. Abends kommen wir gegen 23 Uhr aus der Redaktion.

Dann sinke ich müde in meine Badewanne und denke an die Hippies vom Weimarer Wagenplatz, über die ich nicht schreiben darf. Mein Portrait über Nele, die im Wagen lebt, soll ich nicht in der Lokalzeitung veröffentlichen. Hier darf ich den Text zeigen, aber vor Ort – so hat es das Plenum entschlossen – wollen sie unsichtbar bleiben. Ich erinnere mich an meine ersten Wortwalz-Lektionen auf dieser Reise durch den Lokaljournalismus („Manchmal ist es besser nicht zu berichten“) und halte mich an ihren Wunsch.

Was ich ansonsten getrieben habe? Ich habe Joghurtbecher ausgewaschen, um Rotwein daraus zu trinken. Ich habe meinen Kajalstift mit einem rostigen Klappmesser angespitzt. Und ich habe mir eine batteriebetriebene Laterne gekauft und laufe wie ein Anglerfisch durch meine dunkle leerstehende Wohnung. Und auf dem Flohmarkt habe ich für fünf Euro ein DDR-Klapprad bekommen. Gute Investition in meine Mobilität, auch wenn manchmal während der Fahrt der Rahmen auseinander klafft. Man kann es so sagen: Ich bin weiter auf Achse.

Bleib doch noch ein bisschen, sagen die Leute immer, wenn ich wieder los will. Is ja auch schön hier.

Bleib doch noch ein bisschen, sagen die Leute immer, wenn ich wieder los will. Is ja auch schön hier auf der Dachterasse.


Wie es nun nach drei Monaten mit der Wortwalz weitergeht, verrate ich beim nächsten Mal…

2 Antworten auf Station #10 Wechselbad in Weimar
  1. Wortwalz sagt:

    Kurzer Nachtrag: Es gab einige Reaktionen zu meinem Beitrag aus Weimar. Freue mich immer riesig über die Rückmeldungen, Dankeschön.

    Von zweien will ich hier erzählen. Der Lokalchef schrieb mir unter anderem: „Mit dem Leser habe ich gesprochen. Es gibt halt Unterschiede zwischen einem flapsigen Gespräch zwischen Tür und Angel mit Ihnen und der Realität.“

    Außerdem schrieb mir aber auch jemand: „Hallo, ich wollte mich bedanken für den TLZ-Weimar-Artikel! Ich habe dort mal gearbeitet und war so unglaublich verwundert über die seltsame Stimmung dort (…)

    Wie auch immer, natürlich ist meine Schilderung ein sehr persönlicher Eindruck aus einer sehr kurzen Zeit. Ich bleibe jedenfalls dabei, dass ich froh und dankbar bin, dass ich Weimar sein durfte

  2. Dietm Gaiser sagt:

    Toller Bericht. Freue mich wenn Du wieder da bist und erzählst. Gruß Dietmar